Die britischen Entwickler Supermassive Games gehörten bisher nicht gerade zu den bekanntesten Studios. Einige DLC-Inhalten für „LittleBigPlanet“ oder PlayStation-Move Spiele wie „Start the Party!“ gehörten zum kleinen Repertoire des in Guildford sitzenden Unternehmen. Doch dies sollte sich schlagartig ändern. Denn mit UNTIL DAWN erscheint nicht nur einer der grafisch ansprechendsten Titel dieses Jahres, sondern auch ein Horrorspiel, welches nicht auf Action setzt, sondern dem Spieler endlich wieder einmal das Blut in den Adern gefrieren lassen könnte. Wir haben nicht nur den Selbstversuch gewagt, sondern konnten zudem ein Interview mit dem Creative Director des Spiels Will Byles führen.
Wovor hast du Angst?
In „Until Dawn“ werden die Nerven des Spielers maximal strapaziert. Nicht nur, dass man dank der Atmosphäre, der musikalischen Untermalung und des düsteren Setting in ständiger Angst spielt – Nein, zusätzlich dazu muss man auch seinen Hirnschmalz anstrengen. Denn falsche Entscheidungen können die sowieso schon erdrückenden Spielerlebnisse noch fataler machen: So können tatsächlich alle 8 Spielfiguren sterben. Einen klassischen „Game Over“-Screen gibt es nicht. Wer überlebt und wer nicht hängt daher voll und ganz von den Entscheidungen und auch ein bisschen dem Spielgeschick des Spielers ab. Unerwartete Quick-Time-Events wirken sich zum Glück aber nicht ganz so stark auf den Spielablauf ab. Stattdessen muss man viel mehr darauf achten, wie man agiert und reagiert. Selbst eine noch so unauffällige Entscheidung kann einen „Butterfly-Effect“ auslösen. Sieht der Spieler also nachdem er eine Wahl getroffen hat, einen Schmetterling in der Bildschirmecke, so weiß er, dass er gerade den Spielverlauf geändert hat.
Genau in diesem Moment speichert „Until Dawn“ so gemein wie es ist auch noch automatisch. Einen vorherigen Spielstand neu laden und seine Wahl überdenken ist nicht möglich. Die kinoreife und optisch umwerfende Inszenierung profitiert zudem vom Einsatz echter Schauspieler, welche via Motion Capturing digital ins Spiel eingelesen wurden. Neben einer wahrlich gruseligen Atmosphäre scheut sich „Until Dawn“ aber auch nicht davor zurück mit einigen überaus gemeinen „Jump Scares“ dem Spieler die Hölle heiß zu machen. Ganz ehrlich, eine solch bedrückende Erfahrung hatten wir seit „Amnesia“ nicht mehr gemacht. Inhaltlich hat sich der britische Entwickler an klassischen, amerikanischen Teenie-Slashern orientiert und scheut vor keinem bekannten Klischee und Stereotyp zurück. 8 Teenies fahren in eine verlassene Berghütte und werden von einem Killer gejagt. Da darf die blonde Zicke genauso wenig fehlen, wie der Streber oder der Football-Spieler. „Until Dawn“ spielt mit dem trashigen Image des Genre ohne dabei selbst an Ernsthaftigkeit zu verlieren. Ganz im Stile von Spielen der Marke Quantic Dream („Heavy Rain“, „Fahrenheit“) müssen Spieler bei „Until Dawn“ aber auch in Kauf nehmen viel zu lesen – darunter viele gescriptete Passagen – und ganz oft auch nicht selbst spielen zu dürfen. Zu Gunsten der cineastischen Präsentation natürlich. Die 10 Kapitel bieten eine Spielzeit von ca. 10 Stunden, der Wiederspielwert war jedoch selten höher. Ein großartiges Spiel und ein absoluter Pflichtkauf für PlayStation 4-Besitzer.
Interview mit Will Byles:
Zunächst einmal: Danke für das Interview. Vielleicht kannst du dich zu Beginn kurz Vorstellen, damit unsere Leser wissen, welche Rolle du bei der Entwicklung von „Until Dawn“ gespielt hast:
Natürlich. Mein Name ist Will, und ich arbeite bei Supermassive Games. Ich bin der Executive Creative Director von „Until Dawn“. Meine Aufgabe war es bei der Entwicklung der Story mitzuhelfen, die Schauspieler bei den Drehs zu begleiten, die verschiedenen Story-Äste mit den Designern durchzugehen und als eine Art Sammelpunkt für die verschiedenen Einflüsse und Ideen für das Spiel zu fungieren.
„Until Dawn“ hatte nicht die reibungsloseste Entwicklungszeit. Das Spiel war ursprünglich als PS3-Titel mit Move-Unterstützung geplant. Wann habt Ihr beschlossen, die Entwicklung auf PS4 zu verlegen? Und musstet ihr Features streichen, weil ihr auf Move verzichtet habt?
Mussten wir tatsächlich. Die Ursprungsidee war die eines Teen-Horror Spiels für Move, welches in der Nacht spielt und der Move-Controller funktioniert als Taschenlampe, denn er sieht ja auch etwas danach aus. Es ging also um die exakten Umsetzungen der Spielerbewegungen. Wir zeigten das Spiel auf der Gamescom 2012 und erhielten unglaublich viele Rückmeldungen. Viel mehr als wir erwartet hatten. Natürlich hauptsächlich aus der Playstation-Community. Viele dieser Menschen sagten sie finden das Spiel großartig, aber sie wollen eine Version ohne Move. Die Move-Besitzer mochten es natürlich auch. Aber die, die kein Move besaßen, sagten: „Aber ich will das Spiel auch spielen können“. Das war ein Grund.
Ein anderer war, dass wir während der Entwicklung merkten, dass das Spiel um einiges besser aussah, wenn wir die First-Person-Sicht verlassen haben. Mit dem Charakter und Lichtverhältnissen im Bild wirkte das Spiel um einiges filmischer. Das alles war etwa um die Zeit, als Teams begannen für die PS4 zu entwickeln. Und alles zusammen führte zur Entscheidung Sonys, uns eine PS4 Version des Spiels ohne Move entwickeln zu lassen.
Gleichzeitig hat sich auch unsere Zielgruppe verändert. Die Move-Zielgruppe war um einiges jünger, es war ein Horrorspiel, aber eher Teen-Horror. Die PS4-Zeilgruppe ist etwas Älter, also konnten wir ein erwachseneres, dunkleres und gruseligeres Spiel machen. Es gab ein Recasting und durch die Grafikfähigkeiten der PS4 konnten wir neue Techniken für Gesichtsanimation und Lighting verwenden, um das ganze noch filmischer wirken zu lassen.
Vielleicht können wir etwas über den Mo-Cap Vorgang und die Gesichtsanimationen reden, denn diese sind sehr gut gelungen. Im Startbildschirm kann man die Gesichter der Protagonisten von Nahem sehen, und die Emotionen werden sehr gut transportiert.
Ja, für Videospiele ist es eine eher neue Technologie. Bei Filmen findet das schon seit längerem Verwendung, aber der technische Aufwand, es wirklich gut in Spielen umzusetzen, war immer zu hoch. Beim Scannen der Schauspieler erfassen wir nicht nur deren Gesicht, sondern scannen hunderte Emotionen. Die armen Schauspieler sitzen also da und müssen komisches Zeug mit ihren Gesichtern machen. Das alles wird von hunderten Kameras erfasst und als Drahtgittermodell gespeichert. Wir haben also hunderte Gesichtsmodelle eines einzelnen Charakters – alle mit verschiedenen Ausdrücken. Das alles wird dann zusammengefügt und statt eines Knochenmodells, greifen wir beim Umsetzen der Schauspiel-Performance auf diese Gesichtsausdrücke zurück. Wir kommen damit sehr nah an die eigentliche Darbietung der Schauspieler ran. Viel näher als das früher möglich war.
„Until Dawn“ ist euer erster richtig großer Titel, und ihr hattet gleich die Möglichkeit, mit Hollywood-Schauspielern zu arbeiten. Wie war das für euch?
Nun ja, Arbeit ist immer Arbeit, das ändert sich nicht. Es war natürlich spannend nach Hollywood zu gehen. Ich habe vorher in der Filmindustrie gearbeitet, aber nicht auf diesem Level. Es ist nicht so glamourös wie man denkt, aber sehr aufregend. Viel Arbeit in dunklen Studios, schwitzende Menschen, die viele Dinge auf einmal tun. Aber es war fantastisch und toll, diese Leute kennenzulernen und mit ihnen zu arbeiten. Sie sind so professionell. Es gibt einen Grund dafür, dass sie so berühmt sind.
Ihr habt euch entschieden, das Spiel in einem Teenage-Slasher Setting anzusiedeln, ein seltenes Genre für Videospiele. Ihr seid ja aber eigentlich ein britisches, kein amerikanisches Studio. Wie kam es dazu, und wann habt ihr euch entschieden dieses eher un-britische Setting zu wählen?
Die Idee stammt schon aus PS3-Zeiten, damals ging es schon um ein Slasher-Spiel. Der Impuls kam von Sony. Die Firma kam auf uns zu und wollte ein Teen-Horror Spiel für Move. Wir haben daran gearbeitet, aber realisiert, dass wir als englisches Studio vermutlich eher schlecht für amerikanische Dialoge geeignet sind. Wir sind also nach Amerika und haben verschiedene Regisseure und Autoren aus der Filmindustrie bei uns vorsprechen lassen. Wir trafen uns dann mit Larry Fessenden und Graham Reznick, die wirklich großartig waren und an tollen Horror und Indie-Filmen arbeiteten. Die beiden haben alle Dialoge für uns geschrieben. Wir haben ihnen gesagt, wir wollen einen typischen 80er Slasher, kitschige Dialoge, nervende Charaktere; das war der Ausgangspunkt. Im Spielverlauf sollte das ganze dann aber um einiges dunkler mit verschiedenen Subplots und vielschichtiger Charakterisierung werden. Und weil man die Persönlichkeit der Charaktere selbst durch Spielentscheidungen beeinflussen kann, sollte es auch hier verschiedene Verästelungen geben. So haben wir das also mit den amerikanischen Einflüssen gelöst: Wir haben uns für das Skript einfach Amerikaner besorgt.
Das Spiel ist sehr unlinear, da alle Spielerentscheidungen die Story beeinflussen. Wie oft denkst du muss man das Spiel spielen, wenn man alles sehen möchte?
Wenn wir ehrlich sein sollen, wenn man das Spiel auf jede mögliche Weise mit jeder kleinen Änderung durchspielen möchte, kommt man auf eine absurde Zahl, irgendwas um die 6 Millionen Durchgänge. Aber das bezieht sich auf einen einzelnen Durchgang für jede kleine Änderung. Es gibt auf jeden Fall um einiges mehr als das, was man beim ersten durchspielen sieht. Ich weiß wirklich nicht, wie oft man es spielen muss, um alles zu sehen. (Wendet sich an seinen Kollegen) „Weißt du da was? Etwa Sechs mal?“ Aber selbst dann, da jeder Sterben oder Überleben kann, ist es wirklich schwierig, jede mögliche Version des Spiels zu sehen.
Was ich sehr interessant fand ist die Tatsache, dass das Spiel zwar eigentlich ein Single Player Spiel ist, aber gewisse soziale Aspekte hat. Da es sehr filmisch ist, muss ich nicht unbedingt selbst spielen um Spaß zu haben und man kann in der Gruppe entscheiden, welche Option man wählt. Da Streaming ein immer größerer Faktor im Gamingbereich wird, frage ich mich, ob das beabsichtigt war: Ein Spiel zu schaffen, welches auch mit großen Gruppen an Zusehern interagieren kann?
Nun, unsere Idee war es von Anfang an ein „Date-Game“ zu machen, also ein Spiel, das man mit seinem Date spielen kann. Das bot sich an, es war ja auch Teen-Horror. Wir hatten das also immer im Kopf: Das Spiel sollte beim Zuschauen so viel Spaß wie beim Spielen machen. Wir wollten, dass jeder, der auf dem Sofa sitzt, gefesselt wird. Womit wir nicht gerechnet hatten war wie gut das funktioniert. Wir hatten im letzten Dezember eine Präsentation in Las Vegas vor etwa 5000 Besuchern und Pete, der Executive Producer, stand auf der Bühne und spielte. Und jedes Mal, wenn eine Entscheidung anstand, hat das Publikum angefangen zu schreien, welche er treffen soll. 5000 Menschen schreien „Unter das Bett!“, es war fantastisch. Wir dachten „Oh, das funktioniert wirklich gut“ und begannen zu überlegen, wie wir das nutzen können – vielleicht Richtung Streams, wie du sagst. In den Sozialen Netzwerken haben viele Vorbesteller angefangen „Until Dawn“-Partys zu planen. Quasi eine Party die Nacht durch, denn ein Durchgang dauert etwa eine Nacht. Und die Leute machen das tatsächlich – sie besorgen Bier und haben große „Until Dawn“-Partys.
Zwischen den normalen Gameplay-Sektionen gibt es Therapie-Szenen bei einem Psychiater. Habt ihr für diese mit echten Psychologen gearbeitet?
Nicht für diese Szenen, nein. Wir wollten, dass die Fragen sich mehr auf den Horror beziehen und Teil der Geschichte sind. Auch dachten wir, dass ein echter Doktor vermutlich Besseres zu tun haben wird als so etwas. Wir haben uns allerdings lange mit Ängsten und Phobien beschäftigt. Was passiert, wenn man mit diesem Analysten spricht, ist, dass er dir die Auswahl zwischen verschiedenen Dingen und Szenarios gibt die Menschen Angst einjagen können. Wir versuchen also deine Persönlichkeit einzufangen. Und er antwortet auch. Diese Szenen waren wirklich aufwändig zu gestalten, auch wenn sie kurz sind, denn jede Antwort, die du gibst, ist deine Antwort und er muss angemessen reagieren. Das Spiel ändert sich aber auch, je nachdem wie du antwortest. Das Spiel versucht sich in einer subtilen Weise deiner Ängste anzupassen.
Habt ihr schon euer nächstes Projekt geplant? Wird es DLC für „Until Dawn“ geben?
DLC für „Until Dawn“ zu machen wäre sehr schwierig, da jeder sterben kann, und wir nie wissen, an welcher Stelle du im Spiel bist. Wir könnten also keine universalen Inhalte erstellen. Wir bereiten uns noch nicht auf „Until Dawn 2“ vor, wir wollen erst die Reaktionen auf Teil 1 abwarten. Es ist sehr mutig von Sony, ein so großes, interaktives Drama wie „Until Dawn“ zu veröffentlichen. Wenn wir positive Rückmeldungen bekommen – und ich denke das werden wir- können wir darüber nachdenken, was als nächstes kommt. Wir werden sehen. Wir haben einen positiven Eindruck, aber wir werden sehen.
Seht ihr euch in der Tradition klassischer Adventure-Games? Die Spielmechaniken erinnern zum Teil an diese. Man kann das Spiel zwar beeinflussen, aber es ist letztlich doch linear.
Es gibt definitiv einen Adventure-Einschlag. Es gibt Hinweise, Dinge zu entdecken, Zusammenhänge zu verstehen. Es ist keine passive Story, die man auf sich wirken lässt. Menschen sterben oder überleben je nach deinem Wissensstand. Man kann natürlich auch einfach durch das Spiel durchrennen, aber das wird nicht die beste Spielerfahrung. Die Idee ist, herumzugehen und Dinge zu suchen. Also wir wollten kein klassisches Point and Click machen, aber wir wollten ein gewisses Adventurefeeling. Die gesamte Umgebung bietet Dinge, die du nutzen kannst: Hinweise, Waffen, Totems, welche dir mögliche Storyverläufe zeigen. Es hat definitiv eine gewisse Adventure-Athmosphäre.
Auf der Präsentation heute habt ihr auch ein interessantes Feature gezeigt, welches die Playstation-Kamera nutzt. Können wir darauf kurz eingehen?
Ja, wir haben verschiedene Faktoren im Spiel, die Menschen Angst machen sollen. Wir haben ja auch über den Psychologen geredet. Wir nutzen zum Beispiel ein gewisses Gefühl der Anspannung – wir nennen es „Terror“ – diese Vorahnung, das gleich etwas passieren wird. Dann gibt es natürlich „Horror“, was genau das ist, wovor du zuvor Angst hattest. Dann gibt es etwas namens „Gross Out“, wo wir zeigen, wie fragil der menschliche Körper ist, wie leicht es ist, sich etwas zu brechen. Dann haben wir natürlich Jump-Scares, wo plötzlich etwas in die Kamera springt oder laute Geräusche macht. Wir nennen das „CheapShot“, es macht Spaß, da es Menschen zum Lachen bringt, und dich zusammenzucken lässt. Was wir mit der Kamera gemacht haben ist folgendes: Wir wissen wann diese Sequenzen kommen. Kurz vorher schaltet sich die Kamera automatisch ein und nimmt deine Reaktion auf. Diese kann man dann ins Internet stellen oder in der Video-Sektion abspeichern.
Danke für das Gespräch, es hat uns gefreut heute hier zu sein.
Kevin Kunze, Benjamin Wilhelm & Alexander Zimnol
Bildquelle(n): ©2015 Sony Computer Entertainment Europe