Uncharted: The Lost Legacy beweist, dass es nicht den draufgängerischen Schatzjäger braucht, um ein der Serie gerechtes Abenteuer zu schaffen.
Ruhestand? Nicht für mich!
Nachdem die Credits von Uncharted 4 über meinen Fernseher liefen, dachte ich nur: „Schade, nun ist es vorbei. Aber schön war’s.“ Doch noch im selben Jahr wurde Uncharted: The Lost Legacy angekündigt – ein Add-on für das (vorläufige) Serienfinale mit der gleichen Technik, dem gleichen Gameplay, aber einer neuen Geschichte und Protagonistin. Nathan Drakes Zeit ist vorbei, nun darf Chloe Frazer ran, die Fans aus Uncharted 2 und Uncharted 3 kennen. Teil 4 braucht ihr nicht in eurer PS4-Bibliothek, um die Erweiterung spielen zu können. Da passt es ganz gut, dass ihr auch gar kein Wissen über dessen Geschichte benötigt, um die Handlung von The Lost Legacy zu verstehen. Klar, das Spiel macht gleich viel mehr Spaß, wenn ihr den vierten Teil beziehungsweise alle Vorgänger gezockt habt, aber sind wir mal ehrlich: Ich habe „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ auch als ersten der Indy-Streifen gesehen und es hat dem Spaßfaktor nicht geschadet.
Alte Bekannte, neue Hintergründe
Wer jedoch Vorkenntnisse mitbringt, wird sich nicht nur über das Wiedersehen mit Chloe Frazer freuen. Denn die einstige Romanze von Nathan Drake ist in Uncharted: The Lost Legacy nicht alleine unterwegs, sondern erhält Verstärkung von Nadine Ross, die in Teil 4 noch zu den Hauptantagonisten zählte. Gemeinsam begeben sich die toughen Damen auf die Suche nach dem sagenumwobenen Stoßzahn der Hindu-Göttin Ganesha. Richtig geraten: Es geht nach Indien. Dort herrscht in dem Action-Adventure ein Bürgerkrieg, angezettelt vom Warlord Asav. Der bleibt leider ziemlich blass und kommt nicht über das Klischee des Standard-Bösewichts einer Schatzsucher-Abenteuergeschichte hinaus. Die Bürgerkriegsthematik hält sich komplett im Hintergrund. Nur im ersten Level erlebt ihr in Ansätzen, worunter die Bevölkerung zu leiden hat. Klar, Uncharted ist lockeres, interaktives Popcorn-Kino. In „Indiana Jones“ wurde auch nicht das Leid gezeigt, das die Nazis verursacht haben. Manch einer mag sich aber trotzdem daran stören. Meinem persönlichen Spielspaß hat es jedoch nicht geschadet.
Umso besser funktioniert die Chemie zwischen Chloe und Nadine. Sie sind nicht die besten Freundinnen, haben aber beide einen guten Grund dafür, Ganeshas Stoßzahn zu suchen, daher die Zweckgemeinschaft. Die Dialoge zwischen den Protagonistinnen gehören zu den Höhepunkten des Spiels. Wir erfahren mehr über über sie, da beide Figuren deutlich mehr Hintergrundgeschichte erhalten haben. Komischerweise fehlen jedoch die Multiple-Choice-Dialoge aus dem Hauptspiel. Die haben zwar in „A Thief’s End“ keinerlei Auswirkungen auf den Verlauf der Geschichte, ich habe sie aber als nettes Gimmick empfunden. Wirklich vermisst habe ich sie in The Lost Legacy jedoch nicht.
Im (fernen) Osten nichts Neues
Uncharted: The Lost Legacy wurde von Naughty Dog als Add-on konzipiert, nicht als komplett neuer Hauptteil. Das macht sich eben vor allem beim Gameplay bemerkbar. Aber das muss nichts Schlechtes heißen: Auf der einen Seite gibt es die Ballereien, die sich gut, aber eben nicht so überragend wie in einem „Gears of War“ spielen. Wie in Uncharted 4 lassen sich viele Bleigewitter aber auch umgehen, indem ihr euch an die Feinde schleicht und sie leise im Nahkampf oder per schallgedämpfter Pistole ausschaltet. Dadurch bleibt das System recht simpel, spielt sich aber durchgehend flüssig. Das hervorragende Level-Design ist so offen, dass Stealth-Freunde genug Möglichkeiten haben, ihre Lieblingsspielweisen umzusetzen. Dazu kommen die Kletterpassagen samt Greifhaken, die nicht sonderlich anspruchsvoll sind, aber für Abwechslung sorgen. Das Gleiche gilt für die Rätsel.
Die einzige spielerische Neuerung in Uncharted: The Lost Legacy ist, Trommelwirbel bitte, ein Schlossknacken-Minispiel. Klar, das passt zu Chloe. Doch die Mechanik, den linken Analogstick so lange zu drehen, bis der Controller vibriert und den Stick dann kurz stillzuhalten, ist nun weder anspruchsvoll noch spannend. Dafür hat Uncharted: The Lost Legacy den vielleicht größten Level in der Seriengeschichte zu bieten. Ich habe das Madagaskar-Areal aus Teil 4 nicht mehr zu 100 Prozent im Kopf, aber was sich mir hier offenbarte, war enorm weitläufig. Gott sei Dank steht euch in diesem Abschnitt erneut ein Auto zur Verfügung, damit ihr nicht kilometerweit zu Fuß laufen müsst.
Große Levels, kleines Abenteuer
So ausladend jener Level auch sein mag, das umfangreichste Spiel ist Uncharted: The Lost Legacy nicht. Das hat aber auch keiner erwartet, schließlich soll es ja nur eine Erweiterung sein, die mit knapp 40 Euro nicht den gängigen Vollpreis großer Spiele kostet. Ihr bekommt eine Kampagne geboten, die ich in rund sechseinhalb Stunden durchgespielt habe. Das war etwas kürzer, als ich anfangs vermutet hatte. Zugegeben: Ich bin kein „Completionist“. Natürlich gibt es wieder einen Haufen Schätze zu finden, aber ich will die Geschichten erleben und einen coolen Schauplatz nach dem anderen sehen. Da halte ich mich nicht unnötig lange in einem Level auf, nur um alle Sammelgegenstände mitzunehmen. Neben den Schätzen gibt es diesmal auch Fotos, die ihr mit Chloe an bestimmten Stellen schießen könnt. Aber auch die dienen nur dazu, den Sammeltrieb vieler Spieler zu befriedigen.
Etwas cooler ist da schon die eine wirkliche Nebenaufgabe, die ihr in Kapitel 4 angehen dürft. Dabei gilt es, Hoysala-Andenken zu sammeln, die quer über die Karte verteilt und stets mit einem kleinen Rätsel verbunden sind. Wer dieser „Quest“ nachgeht, bekommt am Ende eine Belohnung, die die Schatzsuche deutlich erleichtert. Viel mehr steckt nicht dahinter, aber es ist eine nette Idee. Wer alles erkunden, machen und finden will, kann bestimmt acht Stunden mit Uncharted: The Lost Legacy verbringen. Für 40 Euro ist das vollkommen ok, zumal der Titel euch den Zugriff auf den kompletten Mehrspielerteil von Uncharted 4 gewährt. Wer Letzteres nicht besitzt, bekommt also einen riesigen, guten Online-Modus dazu.
Fazit – Uncharted: The Lost Legacy
Nun bin ich in diesem Artikel bislang gar nicht groß auf die Technik eingegangen, doch das muss ich auch gar nicht. Uncharted: The Lost Legacy sieht so brillant aus wie Teil 4 und klingt genauso gut. Die deutsche Sprachausgabe gehört mit zum Besten, was wir hierzulande geboten bekommen. Die Musik von Henry Jackman ist erneut fantastisch und unterstreicht perfekt die ruhigen Passagen wie auch die vortrefflich inszenierten Actionsequenzen.
Uncharted: The Lost Legacy gefällt mir insgesamt so gut, dass ich in Zukunft gerne weitere Teile mit dem Duo Frazer/Ross hätte. Die beiden Charaktere harmonieren wunderbar miteinander, weshalb ich sie mir als „Erben“ von „Nate“ und „Sully“ gut vorstellen kann. Ich hätte gerne noch mehr Stunden mit ihnen verbracht. Zu kurz ist mir Uncharted: The Lost Legacy aber nicht. Es ist kein Vollpreisspiel und deshalb darf man nicht denselben Umfang erwarten, wie ihn Uncharted 4 bietet. Für mich ist dieses Spin-off ein tolles Bonuskapitel, das mit den technischen wie spielerischen Stärken des Hauptspiels auftrumpft. Die Abwechslung ist hoch, das Level-Design absolut top. Nathan Drake habe ich dabei zu keinem Zeitpunkt vermisst. Ja, er ist der Star der Serie, aber sie ist nicht von ihm abhängig. Das beweist The Lost Legacy mit Bravour. Ich kann den Titel jedem Fan nur wärmstens ans Herz legen, trotz mangelnder Neuerungen. Und wer noch kein Uncharted gespielt hat und meint, er könne hiermit in die Reihe einsteigen: Ja, das geht, aber ihr verpasst was, wenn ihr nicht vorher die anderen Teile spielt. Dank der „Nathan Drake Collection“ ist das ja bestens möglich.
Infobox
- Titel: Uncharted: The Lost Legacy
- Entwickler: Naughty Dog
- Publisher: Sony Interactive Entertainment
- Release: 23.08.2017
- Plattform: PS4
- USK: 16
- Genre: Action-Adventure
- Sprachausgabe: Deutsch, Englisch, etc.
- Multiplayer: Ja
Bildquelle: Sony Interactive Entertainment, Naughty Dog