Zum Release von Uncharted 4 bot sich uns die Chance, hinter die Kulissen von Marinearchäologen zu blicken. Nikolaus Sandizell, Gründer von Arqueonautas Worldwide, stand uns Rede und Antwort zu Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen realer und virtueller Schatzsuche.
Nikolaus Graf von und zu Sandizell ist passionierter Schiffswracktaucher und seines Zeichens Marinearchäologe. Durch einschneidende Lebensumstände ließ er sein ehemaliges Arbeitsleben hinter sich und gründete das Marinearchäologie-Unternehmen Arqueonautas Worldwide. Kürzlich stand er uns im Rahmen des Uncharted 4-Releases für ein Interview zur Verfügung und wir konnten uns es nicht nehmen lassen zu fragen, wie denn so ein Schatzsucherdasein im Real Life aussieht.
Im Vorfeld zum Interview erfuhr Herr Sandizell erst frisch von einer neuen Entdeckung seines Expeditionsteams. Schiffe einer gesunkenen niederländischen ‚Ternate‘ Handelsflotte wurden vor der Küste der Insel Kabaena in Südsulawesi, Indonesien gefunden. Im gemütlichen Ambiente erzählte er uns von seiner Arbeit und präsentierte auch einige schöne Fundstücke seiner Expeditionen.
Herr Sandizell, vielen Dank, dass sie sich für uns Zeit nehmen und herzlichen Glückwunsch zum neuen Fund!
Vielen Dank für ihr Interesse! Es ist wirklich fast wie im Spiel. Wir sind überglücklich. Das passt wirklich ganz genau zum baldigen Release des Uncharted 4-Games. Der Trailer zur Bergung kam heute früh an und ist Brand aktuell.
Sie werden also stets gut auf dem Laufenden gehalten. Wie läuft eigentlich so das Leben als Schatzsucher?
Der Titel „Schatzsucher“ passt auf die Geschichte von Uncharted 4. Aber wir verstehen uns als ein Archäologisches Team, das Weltkulturgut zu retten versucht. Denn gerade im Meer sind die alten Schiffswracks enorm gefährdet. Plünderungen sind an der Tagesordnung. Da gibt es ganz professionelle Gruppen, Schatzräuber, die dann auf dem Schwarzmarkt Fundstücke verticken (sic!). Wir versuchen mit den Regierungen der jeweiligen Länder diese Wracks zu finden, bevor sie geplündert werden. Wir suchen zwar nach Schätzen – es geht bei uns aber nicht um den kommerziellen Verkauf. Die Funde werden an Museen gegeben.
Ihre Herangehensweise an die „Schatzsuche“ war also nicht die Bereicherung, sondern vielleicht eher Ruhm und Ehre sowie einen kulturellen Mehrwert zu schaffen?
…und natürlich das Adrenalin des Entdeckens! Das ist super spannend. Ohne dieses Adrenalin weiß ich nicht, ob wir das machen würden. Wenn man etwas findet, was 400 Jahre verloren war, ist das natürlich ein erhebendes Gefühl und man kann sich dann auch zu Recht einen Entdecker nennen, glaube ich. Wir haben, um das überhaupt machen zu können, ein Businessmodell aufgebaut, in dem die Firma Arqueonautas zu einer Marke geworden ist. Die Amerikaner würden das „lifestyle brand“ nennen. Dafür bekommen wir royalties: bestimmte Anteile verkaufter Produkte werden für das Beschützen von Schiffswracks eingesetzt.
Interessant. Sie haben ihre Archäologie also zu einer Art Franchise gemacht und generieren durch kommerziellen Erfolg einen kulturell-historischen Mehrwert. Wie sind sie auf die Idee gekommen so etwas zu machen?
Ich habe schon immer gern in exotischen Ländern gelebt: Südamerika, Südostasien usw. Ich tauche sehr gerne und habe mich in einem Urlaub mit einem Tauchlehrer befreundet, der mir dann ein Schiffswrack zeigte, was er normalerweise bei Touristen nicht macht. Dadurch entstand eine Passion. Ich habe früher einen großen deutschen Konzern im Ausland vertreten. Dann verstarb der Präsident der Firma und das ganze Arbeitsumfeld änderte sich, wurde zu bürokratisch und langweilig. Ich fing an mich langsam zu fragen, wie lange ich das noch mitmachen wollen würde. Zu dieser Zeit wurde in Portugal ein Gesetz zur Suche und Bergung historischer Schiffswracks erlassen und da kamen Geschäftsfreunde auf mich zu und fragten mich, ob ich nicht so eine Bergungsfirma mitgründen wollen würde. Ich lehnte zuerst, da ich keinerlei Erfahrung außer dem Tauchen hatte. Der Floh war dennoch erstmal im Ohr. Schließlich beschäftigte ich mich ein Jahr lang mit akribischer Recherche in der Schiffswrackssuche und Marinearchäologie: welche Projekte waren erfolgreich, welche nicht und warum? Dann setzte ich mich mit vielen namhaften Archäologen und Historikern zusammen, mit denen ich noch heute arbeite. Nach einem Jahr kam ich zu dem Schluss: das kann ich besser! Dann stellte ich ein Team zusammen. Bald darauf kam der Punkt, an dem ich es zu meiner Lebensaufgabe machen wollte. Ich habe die Passion zum Beruf gemacht. So kam das: unbedarft und spontan. Eben aus der Leidenschaft des Abenteuers, des Tauchens, der Schatzsuche heraus.
Gab es denn irgendwelche Vorbilder? Selbst Nathan Drake aus Uncharted 4 hat ja gewisse Vorbilder.
Eine leider im letzten Jahr verstorbene Marinearchäologin, Dr. Margaret Rule, ist bis heute ein riesiges Vorbild für mich. Sie barg ein sehr berühmtes Wrack: das Flaggschiff von König Heinrich VIII., die Mary Rose. Mit ihr hatte ich von Anfang an Kontakt.
Dann gibt es noch ein paar sehr interessante und belesene Historiker. Darunter wäre beispielsweise Dr. Horst Liebner, ohne dessen jahrelange, akribische Recherche wir nicht kürzlich die Ternate-Flotte gefunden hätten. Es hat sehr viel mit Detektivarbeit zu tun. Man muss Leute finden, die Dokumente aus dem 16. Jahrhundert lesen können. Im Falle von Dr. Liebner hat die Arbeit 10 Jahre gedauert. Aber sie hat sich bezahlt gemacht. Nach dem 4. Tag unserer Expedition haben wir die Flotte aus dem Jahre 1650 gefunden.
Sie sagen, dass diese archäologische Schatzsuche sehr viel mit Recherche zu tun hat. Was sind denn weitere Unterschiede und auch Gemeinsamkeiten zu Nathan Drake aus Uncharted 4 oder Lara Croft aus Tomb Raider oder einem Indiana Jones?
Die Begeisterung, eine solche Detektivgeschichte zu ende zu bringen und die große Entdeckung zu machen, ist die absolute Parallele. Natürlich sind die langweiligen Themen der unerhörten Bürokratie, bis man eine Lizenz mit der Regierung ausgehandelt hat und die Stunden, Tage, Wochen und Monate andauernden Recherchen in staubigen Archiven die Themen, die in Videospielen und Filmen ausgespart werden.
Gefahren gibt es aber auch zuhauf. Die Taucheinsätze an sich sind gefährlich. Wenn man in die Tiefe geht, muss man auf Dekompressionszeiten achten. Ständig muss man das Equipment in tadellosem Zustand halten, denn daran hängen Menschenleben. Alle sind sehr diszipliniert, fast militärisch. Der Aufbau des Teams ist auch interessant: wie eine Fußballmannschaft, die auf eine Meisterschaft vorbereitet wird und wirklich jede Disziplin abdecken muss. Jedes operative Teammitglied ist multidisziplinär. Jeder kann in Schiffswracks tauchen, sollte IT-Experte oder gar Notarzt sein und muss andere Dinge mitbringen. Man kann ja nur eine begrenzte Anzahl an Mitgliedern auf Expedition mitnehmen und dann muss man eben darauf achten, dass jemand dabei ist, der auch technisch versiert ist und bspw. einen Außenbootmotor reparieren kann. Es gibt viel, das beachtet werden muss.
Das Abenteuerelement, dass auch mal Haie vorbeischauen, kommt auch vor. Aber da gehen wir dann etwas ruhiger ran, weil wir wissen, dass die eigentlich auch genauso Angst vor uns haben, wie wir vor ihnen. Man muss natürlich aufpassen.
Dann haben wir da auch noch die übleren Elemente im Geschäft. Die schießen zwar nicht gleich wie im Videospiel, aber da gibt es dann Leute, die uns sehr genau beobachten und in dem Moment, wenn wir weg sind, noch versuchen, etwas abzugreifen. Oder Leute, die nicht wollen, dass man Wracks mit Regierungslizenz hebt, weil sie diese als ihr Eigentum ansehen. Uns ist so etwas zum Glück noch nicht passiert, aber bei einem Kollegen war ein Fischer so sauer, weil er der Meinung war, das Wrack gehört ihm, dass er es schließlich mit Dynamit bewarf, sodass die Porzellanladung in Scherben lag. Da gibt es alle möglichen Geschichten, die so das Leben schreibt.
Haben sie auch Erfahrung mit kriminellem Kunsthandel?
Ich habe mich besonders darauf spezialisiert, die gängigen Antiquitätenläden und Händler abzuklopfen, um zu gucken, was bei denen in den Vitrinen steht. Wenn dann plötzlich eine bestimmte Porzellanart in größerer Anzahl in den Schaukästen auftaucht, gehen auch alle Alarmglocken los, weil man sich fragt, woher diese Mengen plötzlich kommen. Dann versucht man vorsichtig herauszufinden, wo das herstammt und was man da noch unternehmen kann. Der Schwarzmarkt für geschmuggelte Kunstgegenstände ist gewaltig. Da werden jedes Jahr viele Millionen bewegt. Wir sind ja nicht die Polizei, weswegen wir da nicht viel unternehmen können. Das wäre auch gefährlich. Aber man kann mit gewissen Informationen versuchen, so etwas vor Ort zu stoppen. Bzw. ist es auch sehr oft so, dass an einer Stelle, wo ein Wrack gefunden wurde, noch mehr liegen könnten. Das ist bspw. bei Riffen der Fall. Wir haben das schon erlebt, dass sich an einem Riff ein Dutzend Wracks ansammelten, die einen Zeitraum von über 400 Jahren abdecken. Wenn man so einen Brennpunkt kennt, kann man dann auch gewisse Schutzmaßnahmen treffen.
Was war ihr bisher interessantester Fund?
Das war ein Astrolabium: ein Navigationsinstrument aus dem späten 17. Jahrhundert. Das einzige versilberte Stück, was man auf der Welt fand. Es war in fantastischem Zustand – man konnte noch die ganzen Zahlen und Gravuren sehen. Nun ist es Prunkstück des nationalen Marinemuseums in Virginia, USA. Das war wahrscheinlich aus wissenschaftlicher Sicht die interessanteste Entdeckung. Für den Schatzsucher sind das mit Sicherheit die Münzen von der San José. Davon haben wir über 10.000 Stück gefunden – eine wahnsinnige Menge.
Gibt es denn irgendeinen Fund, den sie gerne einmal bergen würden?
Jeder hat so seine Lieblingswracks. Es gibt die berühmte portugiesische Flor de la Mar vom Admiral Albuquerque. Nachdem er die Stadt Malakka, das war damals eine der reichsten Handelsstädte der Welt, völlig ausgeplündert hatte, waren seine Schiffe so schwer überladen, dass die kaum noch segeln konnten. Das Flagschiff, die Flor de la Mar, ging unter. Der Admiral selbst war auf dem Schiff, überlebte jedoch. Man fand es bis heute nicht wieder.
Die San José vor Kolumbien ist man bereits dabei zu bergen.
Die Endeavor wurde vor ein paar Tagen gefunden – auch ein legendäres Entdeckerschiff. Es gibt eine ganze Reihe von Schiffen die man hofft, dass sie noch gefunden werden, bevor sie geplündert oder zerstört werden. Es gibt bspw. diese Schleppnetzfischerei, deren tonnenschwere Netze auf den Meeresboden entlangezogen werden und unglaublichen Schaden anrichten. Wenn die über ein uraltes hölzernes Wrack gezogen werden, ist das Kulturgut dann über Kilometer verstreut und zerbrochen.
Haben sie schon Erfahrungen mit Videospielen gemacht?
Die eigene Mannschaft spielt wahnsinnig gern, wenn die Arbeit einmal vorbei ist. Dann sitzen alle am Computer und spielen für sich.
Im eigenen Team sind viele passionierte Gamer. Wir haben auch vor vier, fünf Jahren damit begonnen ein Arqueonautas-Spiel selber zu entwickeln. Ich träume immer noch davon, dass wir es schaffen unser Spiel zu publizieren.
Woran hat es gelegen?
Wir hatten einfach nicht genug Ahnung: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Wir haben das Entwicklungsgeld nach einer Weile dann doch lieber wieder in die Marinearchäologie gesteckt. Aber das war interessant und hat Spaß gemacht. Ich glaube nach wie vor, dass es ein tolles Spiel sein könnte. Es ist ein Managementspiel wo man lernt, was Marinearchäologie ist und wie man vorgehen soll. Man kann schon bei seiner Teamzusammenstellung entscheiden, ob man lieber die Piraten nimmt oder die seriösen Marinearchäologen und Historiker.
Ein sehr schönes Bild: wenn die Mannschaft aus den Abenteuern des Real Life ausbrechen will, nutzt sie Videospiele wie das neue Uncharted 4, um sich sodann in die Gefahren der virtuellen Welt zu begeben.
Marc Zehmke
Bildquelle(n): Sony, Arqueonautas Worldwide, Nikolaus Graf von und zu Sandizell