Außerirdische, Propheten oder die Götter selbst – wenn es um die Entstehungsgeschichte der Pyramiden geht, werden die absurdesten Theorien diskutiert. Kein Wunder, denn die gewaltigen Bauwerke sind in ihrer ausgeklügelten Architektur so faszinierend, dass es schwer fällt zu glauben, dass sich irgendjemand vor tausenden vor Jahren so etwas ausdenken konnte. Tatsächlich meinen die Historiker den ersten großen Baumeister Ägyptens bereits zu kennen: Imhotep. Dieser lebte um 2700 vor Christus (sprich: vor 4716 Jahren!) und erbaute die erste große Pyramide: die Djoser-Pyramide.
Mit diesem Wissen im Hinterkopf erscheint es vollkommen einleuchtend, warum „Imhotep – Baumeister Ägyptens“ seinen Namen trägt. Das Brettspiel des australischen Autors Phil Walker-Harding stellt die Erschaffung ägyptischer Bauwerke in den Mittelpunkt, erschien Ende letzten Jahres beim Kosmos-Verlag und heimste auf Anhieb ziemlich gute Kritiken ein – und eine Nominierung zum „Spiel des Jahres 2016“. Zu Recht?
Schneller Einstieg & komplexe Strategien
Das Spielmaterial wirkt beim ersten Öffnen der Schachtel von „Imhotep“ angenehm wertig, besonders die 120 Holzklötze, von denen je 30 für jeden der bis zu vier Spieler gedacht sind. Um diese bemalten „Steine“ dreht sich alles, denn das Spielziel besteht darin, durch taktisch kluges Steine-Platzieren möglichst viele Punkte zu ergattern. Hört sich vielleicht zunächst recht trocken an, ist jedoch erstaunlich spannend. Vor jeder Runde werden fünf Orts-Tafeln ausgelegt, die den Baumeistern als Vorlage dienen. Bei den Obelisken werden Steine in die Höhe gestapelt, in der Grabkammer und beim Tempel möglichst viele der eigenen Farbe nebeneinander gelegt, bei der Pyramide werden die Steine zu… nun ja, Pyramiden angeordnet. Nur der Markt bildet eine Ausnahme: Hier wird nicht gebaut, sondern eingetauscht. Für jeden Stein, den Spieler beim Markt abliefern, dürfen sie sich eine Markt-Karte nehmen, die entweder Siegpunkte bringt oder einen einmaligen Vorteil beim Legen der Steine.
Die Spieler dürfen ihre Steine jedoch nicht einfach direkt auf die Orts-Tafeln legen, sondern müssen sie zunächst auf Boote verladen. Es gibt kleine und große Boote – das größte transportiert bis zu vier Steine auf einmal, das kleinste gerade mal einen. Da es mehrere Boote von (fast) jeder Sorte gibt, kann es natürlich sein, dass manche Bootstypen gar nicht erst beladen werden. Welche Boote in der aktuellen Runde zum Einsatz kommen dürfen, bestimmt die Runden-Karte, die zu Beginn jeder Runde gezogen und aufgedeckt wird. Da eine Partie aus sechs Runden besteht, legen Spieler entsprechend viele Karten auf dem Runden-Stapel bereit und können anhand der verbleibenden Karten stets im Blick behalten, in welcher Runde sie sich aktuell befinden. Es stehen immer genau vier Boote bereit, die von Spielern der Reihe um beladen werden können. Wie bereits beschrieben, gibt es jedoch fünf Orts-Tafeln, sodass ein Ort in jeder Runde leer ausgehen muss. Welcher das ist, bestimmen die Spieler selbst, denn zu den möglichen Aktionen in jeder Runde gehören nicht nur das Sammeln und Verladen von Steinen, sondern auch das Losschicken der Boote. Entscheidet sich ein Spieler für letzteres in seinem Zug, darf er selbst bestimmen, wo das Boot anlegen soll. Damit beginnt der eigentliche „Krieg“ um die Siegpunkte.
Bei Imhotep zählt jeder Stein
Da die Steine auf den Orts-Tafeln auf unterschiedliche Weise in die Bewertung am Ende des Spiels einfließen, ergibt es durchaus Sinn, sich möglichst früh auf eine bestimmte Bautaktik festzulegen. So bekommt beim Obelisken beispielsweise nur der Spieler mit dem höchsten Obelisken den vollen Punktezuschlag, der Rest wird mit deutlich weniger Punkten abgespeist. Bei der Pyramide hingegen folgt die Bewertung keinem festen Schema, sodass hier besonders beachtet werden sollte, dass – sofern keine Markt-Karte ausgespielt wird – immer der vorderste Stein zuerst vom Boot geladen wird, dann die dahinterliegenden.
An sich ein recht überschaubares System, doch wer denkt, dass er bei Imhotep fleißig Ladung für Ladung zum Wunschort schippern lassen kann, hat die Rechnung ohne seine Mitspieler gemacht. Jeder darf seinen Zug dafür verwenden ein Boot, das mit der angegebenen Mindestmenge an Steinen beladen wurde, an einen beliebigen, in der aktuellen Runde noch nicht angesteuerten Ort fahren zu lassen. Der steuernde Spieler muss selbst keinen einzigen Stein auf dem Boot besitzen und tut seinen Konkurrenten auf den ersten Blick sogar einen Gefallen, denn er bringt ja die Steine anderer voran, ohne dass die betroffenen Spieler selbst einen Zug dafür opfern müssen. Tatsächlich steckt hinter dem scheinbar selbstlosen Akt knallharte Sabotage, denn oft müssen Spieler mitansehen, wie ein randvoll beladenes Boot zu einem Ort geschickt wird, den sich der Besitzer der Steine niemals ausgesucht hätte. Anstatt der vier Steine breiten Verlängerung des Obelisken, die es gebraucht hätte um die Bauwerke der Konkurrenz zu übertrumpfen, gibt es nun vier Markt-Karten, die an und für sich auch ganz nett sind, aber nicht halb so viele Punkte bringen wie der erste Platz beim Obeliskenbau. „Hinterhältige“ Manöver dieser Art prägen den gesamten Spielablauf und je mehr Spieler an einer Runde beteiligt sind, desto fieser und unberechenbarer werden die Spielzüge der Teilnehmer.
Frustrierend ist Imhotep – Baumeister Ägyptens trotzdem nicht, denn wer den Mitspielern – im wahrsten Sinne – nur Steine in den Weg legt, bringt selbst nichts zustande und geht bei der abschließenden Punktevergabe leer aus. Konstruieren oder sabotieren – die richtige Mischung macht’s! Selbst mit zwei Spielern kam in den Testrunden schon ordentlich Stimmung auf, zumal das Wesentliche auf gerade mal zwei Seiten erklärt wird. Wer also keine Lust auf allzu komplizierte Regelwerke hat, aber trotzdem etwas für die grauen Zellen sucht, ist bei Imhotep – Baumeister Ägyptens genau richtig. „Spiel des Jahres 2016“? Uns würde es nicht überraschen!
Infobox:
- Titel: Imhotep – Baumeister Ägyptens
- Verlag: KOSMOS
- Release: 30.12.2015
- Spieler: 2-4
- Alter: 10+
- Dauer: 40 Minuten
- Autor: Phil Walker-Harding
- Illustrator: Miguel Coimbra
- Grafik: Michaela Kienle
- Inhalt: 120 Steine, 5 Orts-Tafeln, 1 Wertungs-Tafel, 8 Boots-Plättchen, 4 Vorrats-Plättchen, 21 Runden-Karten, 34 Markt-Karten
Bildquelle(n): KOSMOS-Verlag