Die Prämisse von Tokyo Mirage Sessions #FE klingt wie mein persönlicher Alptraum: Ein quietschbuntes Rollenspiel, das die unter Otakus so verehrte japanische Idol-Szene mit ihren auf süß-getrimmten Mädchen und ihrer diabeteserregenden Musik zelebriert. Sofort werden Erinnerungen an RPGs wie das unsägliche Omega Quintet wach: Spiele, die sich für ihr Gameplay nicht weniger interessieren könnten und sich stattdessen einzig und allein darauf konzentrieren, süße Mädchen in mal witzigen, mal perversen Situationen zu zeigen.
Wer Tokyo Mirage Sessions #FE (die Raute wird übrigens nicht „Hashtag“, sondern „Sharp“ ausgesprochen – es geht hier schließlich um Musik) in eine solche Schublade steckt, begeht jedoch einen großen Fehler. Denn auch wenn es einfach fällt, das Wii U-Rollenspiel auf den ersten Blick als plumpes Otaku-Pandering abzutun, unterscheidet es sich gravierend von seiner Konkurrenz. In jedem Detail protzt Tokyo Mirage Sessions #FE mit einer aufrichtigen Liebe für sein Setting – und überzeugt so selbst diejenigen, die mit der japanischen Entertainment-Industrie nichts anzufangen wissen.
Die Helden der Entertainment-Branche
Die Story von Tokyo Mirage Sessions #FE ist wenig spektakulär, wird aber charmant erzählt und findet immer gekonnt die richtige Balance zwischen Ernsthaftig- und Leichtigkeit. Es stellt dabei sympathische Charaktere in den Vordergrund, die neben ihren Klischees auch genug Ecken und Kanten zeigen. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Tsubasa – eine begabte Sängerin, die vor vielen Jahren unter mysteriösen Umständen ihre Familie verlor, der gutgelaunte Touma, der die Welt als Superhelden-Schauspieler Freude bringen möchte, und Protagonist Itsuki, der … naja, von seinen beiden Freunden irgendwie unfreiwillig in die Fortuna Talent Agency hineingezogen wird, aber sein Bestes gibt, eigene Talente zu zeigen.
Natürlich ist Fortuna in Wahrheit aber mehr als nur eine Agentur für angehende Künstler: Unter ihrem Deckmantel kämpfen die Helden gegen dunkle Wesen namens Mirage, die in Tokio einfallen und den Menschen unbemerkt die Lebensenergie aussaugen.
Nicht alle Mirages sind jedoch böse. Einige schließen sich auch unseren Helden an und geben ihnen Kraft, um im Kampf zu bestehen. Hier kommt der #FE-Part des Titels zu tragen: Denn auch wenn man zumeist wenig davon bemerkt, handelt es sich bei Tokyo Mirage Sessions #FE eigentlich um ein Crossover zwischen Shin Megami Tensei und Fire Emblem. Beliebte Fire Emblem-Charaktere wie Chrom schmieden ein Bündnis mit Itsuki und Co. und nehmen damit eine ähnliche Rolle wie die Dämonen der SMT- oder die Personas der Persona-Reihe ein.
Kämpfen mit Style
Die Geschichte führt die Party in verschiedene Dungeons, die sich in der sogenannten Idolosphere befinden: Eine Art Zwischendimension, die die Mirages schaffen, um den Menschen ihre Performa – die Manifestation ihrer kreativen Energie – zu stehlen. Das Dungeon-Design präsentiert sich hierbei solide und erlangt seine Würze durch seine tollen Kämpfe. Als Basis besitzt es das typische Shin Megami Tensei-Kampfsystem wie es etwa auch in Persona vorkommt und das Ausloten der gegnerischen Schwachpunkte zum Siegeskriterium erklärt. In Tokyo Mirage Sessions #FE wird dieses noch um das Waffendreieck aus Fire Emblem erweitert. Greift man einen Gegner mit seiner Schwäche an, erhält man die Chance eine Session einzuleiten: Die restlichen Party-Mitglieder können – passenden Skill vorausgesetzt – nun zu einer musikalischen Kombo ansetzen und verheerenden Schaden anrichten. Das ist kurzweilig, befriedigend und toll präsentiert.
Mit viel Liebe präsentiert
Die Präsentation von Tokyo Mirage Sessions #FE ist ohnehin von jedem Zweifel erhaben. Wer schon einmal einen Trailer zu Persona 5 gesehen hat, weiß, dass Atlus die Könige des Styles sind. Auch Tokyo Mirage Sessions #FE bildet hierbei mit seiner erdrückenden Liebe zum Detail keine Ausnahme. Das fängt bei den toll animierten Menüs, die die Thematik des Spiels perfekt einfangen (wie z.B. Charakter-Biographien als Autogrammkarten oder das wunderschöne Status-Menü, das alle neu hinzukommenden Charaktere auf einer malerischen Wiese zeigt), an. Bei der Präsentation Tokyos mit der interessanten Idee, namenlose Passanten lediglich als farbige Sillhouetten (welche bei Anwesenheit eines Mirages ergrauen) darzustellen, setzt sich das fort und endet schließlich mit der tollen J-Pop-Musik vom bekannten Produktionsstudio Avez und den dazu passenden Anime-Musikvideos.
Besondere Erwähnung hat auch die „Topics“ getaufte Messenger-App verdient, welche auf dem GamePad-Screen angezeigt wird. Hier kann Itsuki im Spielverlauf mit seinen Freunden chatten, was nicht nur gelungen seine Beziehungen zu den verschiedenen Charakteren vertieft, sondern auch damit überrascht, dass jeder Gesprächspartner seinen eigenen charakterischen Schreibstil mitsamt bevorzugter Smiley- und Sticker-Setzung besitzt.
Wer Tokyo Mirage Sessions #FE genießen möchte, muss die englische Sprache beherrschen. Nintendo sparte sich eine deutsche Übersetzung des Nischen-RPGs. Auch die Synchro ist nur in Japanisch verfügbar.
Tokyo Mirage Sessions #FE: Fazit
Tokyo Mirage Sessions #FE wurde uns einst als Crossover zwischen Shin Megami Tensei und Fire Emblem versprochen: Wer darauf pocht, dass dieses Versprechen eingelöst wird, sieht sich vom fertigen Produkt enttäuscht. Denn Tokyo Mirage Sessions besitzt seinen ganz eigenen Charakter. Verbindungen zu den beiden Reihen, die es ursprünglich einmal verbinden sollte, wirken oberflächlich und oftmals aufgesetzt. Wer hingegen offen für etwas Neues ist, erhält ein wunderbares Rollenspiel mit unheimlich viel Liebe zum Detail und einem spaßigen Kampfsystem, das einerseits Erinnerungen an die Persona-Reihe weckt, andererseits aber ein ganz einzigartiges Feeling versprüht. Das RPG-Angebot der Wii U mag überschaubar sein, mit Tokyo Mirage Sessions #FE bekam sie jedoch zum Abschied noch eine echte Perle spendiert.
Julian Krause
Bildquelle(n): Nintendo
Infobox:
- Titel: Tokyo Mirage Sessions #FE
- Publisher: Nintendo
- Entwickler: Atlus
- Release: 24.06.2016
- Plattform: Wii U
- USK: 12
- Genre: RPG
- Sprachausgabe: Japanisch
- Text: Englisch
- Multiplayer: Nein