Das Timing war perfekt: Kurz nachdem Capcom das 25-jährige Jubiläum ihrer Mega Man-Serie sang- und klanglos verstreichen lies, tauchte plötzlich Keiji Inafune auf der Bildfläche auf und hatte einen Traum im Gepäck. „Wenn Capcom nicht will…“, dachte sich der Designer der Ur-Mega-Man-Titel wohl, „…mache ich eben meine eigene Version der Reihe“. So wurde die Crowdfunding-Kampagne zu einem Spiel namens Mighty No. 9 geboren und die enttäuschten Fans butterten ihr hart verdientes Geld in den Titel, der eine Art inoffizieller Reboot des Mega Man-Franchise werden sollte. Nach einigen Verschiebungen, Nachfinanzierungen und eher pessimistischen Previews steht das fertige Spiel nun endlich in den Regalen. Hat sich das Warten gelohnt?
Angriff der Küchengeräte
Worum geht’s? Ein böser Computervirus befällt Roboter auf der ganzen Welt, welche die ihnen verliehenen Kräfte sogleich gegen ihre Erschaffer richten. Die Hoffnung der Menschheit liegt nun in einem Androiden namens Beck, welcher die rebellischen Maschinen wieder zur Vernunft bringen soll.
Ganz in Mega Man-Manier springen und schießen wir hierfür von Level zu Level, wobei die Reihenfolge nicht strikt vorgegeben ist und dem Spieler überlassen bleibt. Besiegen wir einen der Mighty Numbers genannten Bosse am Ende der Stages, bekommen wir dessen Fähigkeit und können diese fortan im Kampf einsetzen. Außerdem verfügt Beck über einen Dash, mit welchem wir geschwächte Gegner als Munition für unsere Sub-Waffen aufnehmen können. Alles in allem also wirklich Mega Man mit einem kleinen Twist, was soll da schon groß schief gelaufen sein?
Totalschaden
Leider so einiges, denn genau genommen gibt es bei Mighty No. 9 nichts, was so richtig rund läuft. Das Leveldesign wirkt uninspiriert und zum Teil sehr dreist von älteren Mega Man-Titeln kopiert, wobei auch vor den verhassten Trial-and-Error-Passagen der Klassiker nicht halt gemacht wurde. Gegner werden von Level zu Level recycled und stellen allgemein eigentlich nie eine wirkliche Gefahr dar und die Bosse sind einfach zu durchschauen und werden euch eigentlich nur durch nervige Instant-Kill-Attacken in späteren Kampfphasen gefährlich, welche jeden Spielfehler mit dem sofortigen Ableben ahnden und so für unnötigen Frust sorgen.
Hinzu kommen Mängel technischer Natur. Obwohl Mighty No. 9 wirklich kein Grafikbrett ist und sich optisch irgendwo zwischen Last-Gen und PS2 bewegt, neigt das Spiel zu Framerate-Einbrüchen und bietet Texturen unterster Schublade, welche auch durch ein paar nette Lichteffekte nicht mehr gerettet werden können. So bleibt wohl das Beste an Mighty No. 9 die Spielzeit, denn für geübte Zocker sollte der Horror-Trip nach ein bis zwei Stunden vorbei sein.
Fazit: Mighty No. 9
Als Mega Man-Fan blutet mir das Herz. Mighty No. 9 wirkt, als hätte jemand versucht, das altbekannte Spielprinzip unseres blauen Bombers zu kopieren, ohne es aber im Ansatz verstanden zu haben. Sieht man von den technischen Problemen ab, bleibt ein Spiel, welches sich eher an den Design-Fauxpas der frühen MM-Titel zu inspirieren scheint, als an dem, was die Serie wirklich groß gemacht hat. Hinzu kommt, dass das Spiel wirklich jede Eigenständigkeit vermissen lässt und so leider mehr wie ein seelenloser Klon als eine liebevolle Hommage wirkt. Ladet euch lieber eines der zahllosen Mega Man-Fan Games aus dem Internet herunter, als Geld für Mighty No. 9 zu zahlen, denn gerade für Freunde von Capcoms Kult-Androiden bietet der Titel nur Frust und Trauer um das, was hätte sein können.
Benjamin Wilhelm
Bildquelle/n: Deep Silver/Comcept