Eine jahrelange Zitterpartie findet ihr Ende: Dragon Quest VII: Fragmente der Vergangenheit erscheint endlich auch in Europa. Nachdem das 3DS-Remake bereits vor über drei Jahren in Japan erschien, sah es lange Zeit so aus, als müssten westliche Fans eimal mehr in die Röhre gucken. Als kaum jemand mehr an eine Veröffentlichung zu hoffen wagte, erhörten Square Enix und Nintendo darbende Fans.
Soviel sei schon jetzt gesagt: Die Wartezeit hat sich gelohnt.
Das Leben ist langweilig
Das Königreich Estard ist ganz schön überschaubar. Ein winziges Fischerdorf, ein gemütliches Hauptstädtchen und ein imposantes Schloss, das groß genug wäre, um alle 30 Einwohner der Insel zu beherbergen. Hier zu leben, geht Prinz Gismar und dem namenlosen Protagonisten ganz schön auf die Nerven. Das Schlimmste daran: Die ganze Welt besteht nur aus ewigem Meer und dieser einen, kleinen Insel.
Das Freunde-Duo möchte dies jedoch einfach nicht akzeptieren und erkundet jeden Winkel der Insel nach Zeichen vergessener Zivilisationen. Als sie eines Tages in einer Ruine auf mysteriöse Steintafeln stoßen, finden sie sich plötzlich an einem unbekannten Ort wieder. Eine Insel der entfernten Vergangenheit, auf welcher ein Vulkan gefährlich brodelt und ein kleines Volk den Feuergott zu besänftigen versucht.
Im Laufe des Spiels sammelt die Heldentruppe immer neue Steintafeln – die namensgebenden Fragmente der Vergangenheit – die Portale zu längst vergessenen Inseln eröffnen. Dragon Quest VII verzichtet hierbei darauf, eine epische Story zu schmieden, die die verschiedenen Inseln verknüpft. Stattdessen erzählt jedes Eiland seine eigene, kleine Geschichte. Ein Volk wurde durch giftigen Regen zu Stein erstarrt. Ein anderes muss hilflos dabei zusehen, wie sich seine Kinder bei Nacht in blutrünstige Monster verwandeln. Wir sehen Roboter, die der Welt helfen sollten, sie aber zerstören. Liebesgeschichten, die in Tränen enden und Helden-Legenden, die Hoffnung stiften. Mal spannend, mal lustig. Dragon Quest VII: Fragmente der Vergangenheit vereint mit einer spielerischen Gelassenheit das gesamte Emotionsspektrum.
Sobald man in der Vergangenheit die Probleme einer Insel gelöst hat, nimmt sie auch in der Gegenwart wieder ihren Platz auf dem Meer ein. Es ist nun, dass man mit einem Gefühl, das irgendwo zwischen Enthusiasmus und latenter Angst liegt, seine Segel setzt. Haben die Städte und Dörfer die vergangenen Jahrhunderte überstanden? Entwickelten sie sich zu stolzen Königreichen? Oder konnten unsere Bemühungen den schleichenden Untergang nicht verhindern?
Wie für unterwegs gemacht
Obwohl Dragon Quest VII ursprünglich im Jahre 2000 für die PlayStation erschien, wirkt es aufgrund seiner Struktur wie ein Spiel, das gezielt für einen Handheld entworfen wurde. Die einzelnen Inseln, die jeweils ca. zwei bis vier Stunden vereinnahmen, können hervorragend in Häppchen genossen werden. Und da die übergreifende Geschichte immer simpel bleibt und sich im Hintergrund versteckt, läuft man nie Gefahr, nach einer längeren Pause den Faden hoffnungslos verloren zu haben.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Dragon Quest VII ein kurzes Spiel wäre. Ganz im Gegenteil: Erst nach über 65 Stunden Spielzeit sah ich die Credits über den Bildschirm rollen. Wer alle Geheimnisse und optionale Geschichten entdecken will, kann noch deutlich mehr Zeit einplanen.
Im Vergleich zum PlayStation-Original ist selbst diese Durchspielzeit sogar noch gering. Anno 2000 konnte ein Spieldurchgang locker an der 100-Stunden-Marke kratzen. Im 3DS-Remake trennte man sich einerseits von unnötigem Speck und erhöhte andererseits das Spieltempo drastisch. Verkam das Original beizeiten zu einer auslaugenden Geduldsprobe, behält das 3DS-Remake von Dragon Quest VII (fast) immer ein angenehmes Tempo bei.
Aufwendige Frischzellenkur
Dies liegt zum Einen daran, dass man die Geschwindigkeit der klassischen Rundenkämpfe deutlich angezogen hat. Anders als im Original wuseln Monster nun übrigens sichtbar auf der Weltkarte und in Dungeons umehr. Das bedeutet aber nicht, dass man ihnen einfach aus dem Weg gehen kann: Aggressive Monster verfolgen die Heldentruppe erbarmungslos.
Gleichzeitig verpasste man dem 3DS-Remake von Dragon Quest VII außerdem neue Features, die man schon nach wenigen Minuten nicht mehr missen möchte. So ist auf der Karte immer ein Fragment-Radar eingeblendet, das immer schneller blinkt, je näher man einem Fragment kommt (oder erlischt, wenn keines in der Nähe ist). So spart man es sich, stundenlang jeden Stein umzudrehen, aus Angst eines der lebenswichtigen Fragmente zu übersehen. Sollte man doch einmal nicht weiterkommen, kann man sich im Menü Hinweise zu den Fundorten der nächsten Fragmente geben lassen.
Die auffälligste Neuerung ist natürlich die generalüberholte Grafik. War Dragon Quest VII einst selbst für PlayStation-Verhältnisse ein hässliches Entlein, erstrahlt es auf dem 3DS in einem gänzlich neuen Glanz. Die liebevolle Polygon-Grafik strotzt vor Charme und gehört zu dem Besten, was man in diesem Genre auf dem 3DS gesehen hat.
Die ein oder andere Macke
In Japan erhielt Dragon Quest VII: Fragmente der Vergangenheit zudem einen wundervollen Orchester-Soundtrack. Aus unbekannten Gründen fiel dieser in der westlichen Fassung allerdings der Schere zum Opfer. Uns bleibt nichts anderes übrig, als MIDIs zu lauschen.
Auch wenn das Spieltempo im Remake angezogen wurde, bleiben einige fragwürdige Design-Entscheidungen allerdings bestehen. So dauert es immer noch über 20 Stunden, bis man das umfangreiche Job-System von Dragon Quest VII freischaltet. Wenn andere Spiele sich bereits dem Ende zuneigen, eröffnet Dragon Quest VII uns gerade erst zentrale Spielmechaniken. Da es über 50 verschiedene Jobs gibt, die eifrige Spieler freischalten können, wäre es allerdings mehr als willkommen gewesen, stünde das System bereits eher zur Verfügung. So hatte ich das Gefühl, als hätte ich die Tiefen des Job-Systems gerade erst angekratzt, als das Spiel auch schon vorüber war.
Nach Spielen wie Bravely Default erscheint es zudem altbacken für einen Klassenwechsel immer wieder den Weg zu einem fernen Ort auf sich nehmen zu müssen, statt einfach im Menü seine neue Wahl tätigen zu können. Allgemein ist das Interface von Dragon Quest VII etwas langsam: Egal, ob man Items ausrüsten oder seine Recken heilen möchte: Vieles flutscht nicht ganz so geschmeidig wie bei anderen Genre-Kollegen.
Fazit – Dragon Quest VII: Fragmente der Vergangenheit
Dragon Quest VII: Fragmente der Vergangenheit ist ein hervorragend gelungenes Remake. Es bewahrt den traditionellen Charme des 16 Jahre alten PlayStation-Originals bei, befreit den Klassiker aber gleichzeitig von den meisten seiner Altlasten und poliert ihn zu neuem Glanz. Der Zahn der Zeit mag an einigen Ecken zwar trotzdem ein bisschen geknabbert haben, das ändert jedoch nichts daran, dass Draqon Quest VII jedem Liebhaber traditioneller Rollenspiele nur wärmstens ans Herz gelegt werden kann.
Wer das meiste aus Dragon Quest VII herausholen möchte, sollte sich vor allem dieses Motto zu Herzen nehmen: Lass dir Zeit. Es ist ein gigantisches Rollenspiel. Aber ein gigantisches Rollenspiel, das seine volle Kraft dann entfaltet, wenn man es in Häppchen genießt. Wer jeder der unzähligen kleinen Geschichten ihre Zeit zum Entfalten zugesteht und das Leben der vielen Inselbewohner verfolgt, wird mit einer zauberhaften Erfahrung beglückt, wie es sie in der Videospielwelt nur selten gibt.
Julian Krause
Bildquelle(n): Nintendo, Square Enix, Armor Project