Nach fast 10 Jahren halten wir endlich das erhoffte neue Meisterwerk von Fumito Ueda in den Händen: The Last Guardian. Doch kann der PS4-Exklusivtitel den Erwartungen überhaupt gerecht werden?
Eine außergewöhnliche Freundschaft
Alles ist dunkel und verschwommen. Nicht wissend wo wir uns befinden, erwachen wir in einer alten Ruine. Noch bevor wir wieder richtig zu Bewusstsein kommen, hören wir auch schon die qualvollen Schreie einer furchterregenden Bestie. Ein Trico liegt schwer verwundet neben uns. Und die Legenden erzählen, dass es ein menschenfressendes Monster sei…
Bereits die ersten Momente aus The Last Guardian sind emotional wie kaum ein anderes Spiel und schaffen durch geschicktes Setzen von Akzenten eine einzigartige Identifikation mit dem namenlosen, kleinen Jungen, der sich nun vor einer riesigen Bestie wiederfindet. Was würdet ihr tun? Wegrennen? Versuchen, dem bereits schwer verwundeten Tier den Rest zu geben? Unser liebenswürdiger Held tut nichts davon. Stattdessen befreien wir in einer Mischung aus Tutorial und geschichtlicher Einleitung den optisch von verschiedenen Tieren und Fabelwesen inspirierten Trico von den Speeren, die in seinem Körper stecken und füttern ihn, damit dieser wieder zu Kräften kommt. Der zuvor aggressive und misstrauische Trico nähert sich mit jeder herzlichen Geste des kleinen Jungen mehr an. Schon bald entsteht ein Band, welches der Beginn einer ganz besonderen Freundschaft ist.
Fumito Uedas unvergleichliche Handschrift
Auch wenn The Last Guardian unter Uedas neuem Studio genDesign entstand, so ist es doch durch und durch ein Team-Ico-Spiel. Mit dem ersten Frame, dem ersten Sound, der ersten Sekunde fühlt man sich sofort in die Welten von Ico und Shadow of the Colossus zurückversetzt. Als hätte man die über 10 Jahre alten PlayStation 2-Klassiker erst gestern gespielt. Das märchenhafte, verzaubernde Art-Design – zusammen mit dem verwaschenen Look – erinnern fast schon an ein Bilderbuch. Als hätte man jeden Pixel mit einem Weichzeichner überarbeitet. Damit täuscht man zwar über den langen Entwicklungszeitraum und die teilweise veralteten Texturen hinweg, gleichzeitig entsteht aber auch ein künstlerisches Gesamtbild, das sofort in seinen Bann zu ziehen weiß. Dazu trägt insbesondere auch der atmosphärische Einsatz der Beleuchtung bei. Wenn Lichtstrahlen durch die gebrochene Decke einfallen, hat dies enormen Einfluss auf die Spielstimmung.
Jeder der bisher nicht in Berührung mit einem Team Ico-Spiel gekommen ist, sollte sich im Klaren sein, dass The Last Guardian ungewöhnlich ist. Und das ist auch gut so. Auch wenn wir einige Zeilen zuvor von einem Tutorial sprachen, so sei doch gesagt, dass das Spiel euch zu keiner Zeit an die Hand nehmen wird, wie man es von modernen Spielen gewohnt ist. Nachdem durch kleine Einblendungen des Controllers klar gemacht wurde, welche Funktion auf welcher Taste liegt, hält das Spiel auch schon die ersten kleineren Rätsel bereit.
The Last Guardian lebt von diesen Momenten. Das große, verwinkelte Areal, welches einfach nur als „Das Nest“ bekannt ist, wirkt anfangs wie Effekthascherei. Vor allem, wenn man in die Ferne blickt und sich denkt, dass dies doch eh nur ein nicht begehbarer Hintergrund sei. Tatsächlich ist das aus Brücken, Türmen und Ruinen bestehende Tal das durchdachteste Videospiel-Areal, welches uns seit langer Zeit zu Augen gekommen ist. Nur zu oft findet ihr euch nach einer einstürzenden Brücke oder einem brüchigen Turm an einem Ort wieder, den ihr Stunden zuvor bereits besucht oder gesehen habt und realisiert, wie hier alles ineinander übergeht. Das Gefühl von Backtracking oder Level-Recycling entsteht allerdings nie.
The Last Guardian – Eine emotionale Reise
Glorreiche Schlachten oder viel Action sucht man in The Last Guardian vergebens. Stattdessen lebt das Spiel von euren Interaktionen mit Trico und dem immer stärker werdenden Band. Dabei entfesselt das Spiel immer wieder Momente unbegreiflicher Schönheit. Ihr werdet euch des öfteren dabei erwischen, Trico einfach nur dabei zu beobachten, wie dieser seine Umgebung wahrnimmt oder auf diese reagiert. Denn Tricos Animationen sind faszinierend. Ist ein Gang zu eng, läuft er rückwärts aus diesem wieder hinaus. Durchquert ihr gerade einen kleinen Tunnel, kann es sein, dass hinter euch Tricos Auge erscheint oder er einfach nur seinen Kopf durch eine kleine Öffnung zwängt, um euch so nahe wie möglich zu sein.
Gleichzeitig reagiert die Umgebung auch auf ihn, indem Wände bröckeln wenn er gegen sie stößt. Aber auch ganze Konstrukte stürzen ein, wenn er mit voller Wucht auf sie springt. Seine Bewegungen sind sehr realistisch und auch unvorhersehbar. Wie es eben bei einem echten Tier wäre.
Doch nicht nur die Bewegungen eures Begleiters sind unvorhersehbar. Auch Tricos Verhalten ist eigensinnig. So reagiert Trico nicht sofort auf jeden Befehl oder aber zeigt eine deutliche Unsicherheit, euren Befehl zu befolgen. Dies mag zwar zu dem ein oder anderen ärgerlichen Moment führen, da man wirklich minutenlang den Befehl zum Springen oder einfach nur Weitergehen geben muss. Dennoch wird das irgendwie auch zu einer liebevollen Eigenschaft von Trico. Denn mal Hand aufs Herz: Welches Tier gehorcht schon perfekt und beim ersten Wort? Gleichzeitig kann Tricos Eigensinnigkeit aber auch zu eurem Vorteil sein. So kann es durchaus passieren, dass ihr noch nach dem Weg sucht, er aber bereits herausgefunden hat, wie es weitergeht und zum Sprung ansetzt. Auch gibt es sehr idyllische Momente, in denen ihr einfach nur auf Tricos Kopf sitzt und euch durch die Landschaften tragen lasst.
The Last Guardian ist nicht perfekt…
…muss es aber auch nicht sein. Schaut man sich die K.I. Tricos und die weitläufige, zu fast 100% begehbare Landschaft an, merkt man schnell, warum die Entwicklung so lange gedauert hat und warum das Spiel so auf der PlayStation 3 nicht realisierbar war. Selbst auf der normalen PS4 kommt es hier und da zu kurzen Einbrüchen der Framerate.
Nur auf der PS4 Pro läuft The Last Guardian zu jeder Zeit flüssig. Auch die Steuerung wirkt auf den ersten Blick zu ungenau und schwammig. Zum einen erinnert sie oftmals an Shadow of the Colossus. Zum anderen spielen wir allerdings auch einen kleinen Jungen, der zwar innerhalb der Geschichte mehr Mut beweist, als so manch erwachsener Videospiel-Held, aber immer noch nur ein kleiner Junge ist. Dass da die ein oder andere Bewegung ungestüm ist, er nicht perfekt klettern kann und auch eine gewisse Ungeschicklichkeit an den Tag legt, ist nachvollziehbar und trägt viel zum „Spielgefühl“ bei.
Lediglich die Kameraführung ist ein zweischneidiges Schwert. So ist es verständlich, dass diese so programmiert wurde, dass man wirklich jeden Winkel erkunden kann. Gleichzeitig erblickt man dadurch aber des öfteren einen schwarzen Bildschirm, weil die Kamera regelrecht zwischen euch und einer Wand hängt. Oder aber sie bleibt in einer ungünstigen Perspektive stehen und muss nachjustiert werden.
The Last Guardian – Unser Fazit
The Last Guardian ist ein ruhiges Spiel und es will, dass man sich in dieser Ruhe und Schönheit verliert. Die Musik setzt nur selten ein. Doch wenn sie es tut, ist es wirkungsvoll und ein Garant für Gänsehaut. Das Spiel lebt von seiner Atmosphäre und hält alles, was es im Vorfeld versprochen hat. Man muss aber auch in der Lage sein, sich auf diese besondere Spielweise einzulassen – The Last Guardian erinnert oftmals an vergangene Tage und selbst verglichen mit Früher, hat es spielerisch seine Eigenheiten. Das Gameplay ist zwar simpel gehalten, entpuppt sich aber trotz einiger Wiederholungen als abwechslungsreich. Der nahtlose Übergang zwischen Kletterpassagen, Rätseln, der Interaktion mit Trico und Kämpfen machen The Last Guardian nicht nur dank seiner durchdachten Spielwelt zu einer kreativen und endlich mal wieder zum Nachdenken anregenden Erfahrung.
Zwar hat man das Spiel in ca. 10-15 Stunden beendet, doch wer sich wirklich von der Spielwelt aufsaugen lässt, wird auch in erneuten Spielverläufen viel Spaß haben und sich dabei verlieren, einfach nur Trico und die Welt um euch herum zu beobachten. The Last Guardian ist ein emotionales Erlebnis, das zu keiner Sekunde enttäuscht. Für uns fielen die teilweise veralteten technischen Aspekte weder optisch noch spielerisch stark ins Gewicht. So ist auch Fumito Uedas neuestes Werk trotz Erwartungsdruck ein kleines Meisterwerk geworden, dem sich sicherlich wieder einmal nicht jeder öffnen können wird. Doch die, die es können, erwartet ein magisches Abenteuer, welches die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft erzählt und vor allem eines besitzt: Herz.
Bildquelle(n): Sony
Zum Abschluss haben wir für euch noch einige nette Impressionen des The Last Guardian Presse-Events in Berlin:
Bildquelle(n): Robert Bergmann