Im Test erweist sich Kingdom Come: Deliverance inhaltlich als Rollenspieljuwel, das aber leider nicht auf Hochglanz poliert wurde.
Große Versprechungen
Authentizität – damit können sich nicht viele Spiele selbst umschreiben. Selbst wenn reale Großstädte wie San Francisco in Watch Dogs 2 nachgebaut werden, entspricht das Ergebnis nie exakt dem echten Vorbild. Die Entwickler dieser Spiele haben sich aber auch nie damit gerühmt, besonders authentische Spielwelten zu bauen. Bei Warhorse Studios und Kingdom Come: Deliverance sieht das schon anders aus. Hier war die Authentizität von Anfang an eines der großen Versprechen. Ein realistisches Mittelalter-Rollenspiel im Böhmen des 15. Jahrhunderts sollte es werden – mit anspruchsvollem Schwertkampf und einer glaubhaften Spielwelt. Bei Kickstarter fand diese Idee so viele Anhänger, dass die Entwicklung im Nu finanziert war. Seitdem sind vier Jahre vergangen, Kingdom Come ist mittlerweile erschienen. Ich habe mir die PC-Fassung angeschaut und darin Banditen aufgeschlitzt, Hasen gejagt, Mordfälle aufgeklärt und…nun ja,…auch den einen oder anderen Bug erlebt.
Zu viel Realismus wäre auch nicht gut
Wie authentisch ist Kingdom Come: Deliverance geworden? Nun ja, eigentlich kann ich darauf keine richtige Antwort geben. Denn weder habe ich im Böhmen des Jahres 1403 gelebt, noch bin ich Geschichtswissenschaftler. Sicherlich hat sich Warhorse hier und da kreative Freiheiten genommen, wenn es um die Gestaltung der Spielwelt oder die Geschichte geht. Der eine oder andere Kompromiss dürfte sogar notwendig gewesen sein, um ein gutes Spiel auf die Beine zu stellen. In einem absolut realistischen Spiel könntet ihr wohl kaum mit drei Schwertern, zwei Schilden, einer vollen Rüstung und noch dazu drei Kilo an Lebensmitteln durch die Gegend sprinten.
Letztendlich ist es doch egal, wie realistisch Kingdom Come: Deliverance ist. Wichtig ist nur, dass es glaubwürdig wirkt. Und hier übertrifft es viele andere Genrevertreter. Die Spielwelt sieht grandios aus. Zum ersten Mal gibt es Wälder in einem Videospiel, die genau so irgendwo auf der Welt gewachsen sein könnten. Wenn ich durch die Dörfer laufe, habe ich das Gefühl, wirklich durch eine mittelalterliche Siedlung zu laufen. Das liegt sowohl an der Architektur als auch den Bewohnern, die eigene Tagesabläufe haben. Die Welt von Kingdom Come: Deliverance ist liebevoll gestaltet und wirkt so lebendig wie kaum eine andere Open World. Der Nachteil daran: Immersionsbrecher stechen besonders deutlich hervor, beispielsweise wenn die Stadtwache uns bei Nacht anpflaumt, warum wir denn keine Fackel in der Hand haben, fast alle anderen NPCs aber ohne eigenes Licht durch die Dunkelheit wandern dürfen. Solche Makel gibt es in vielen Spielen, aber in Kingdom Come fallen sie besonders stark auf, weil es sich ansonsten so bemüht, eine glaubwürdige Welt zu kreieren.
Standardkost von der besten Sorte
In Kingdom Come: Deliverance spielt ihr den Schmiedesohn Heinrich, dessen Eltern bei einem Überfall auf sein Heimatdorf ermordet werden. Dem Jungen gelingt die Flucht und von da an will er nur eines: Vendetta. Warhorse erzählt eine typische Rachegeschichte, die als klassische Heldenreise aufgebaut ist. Das ist nichts Besonderes, überzeugt aber trotzdem. Der historische Kontext rund um den Konflikt zwischen Wenzel IV. und Sigismund von Luxemburg schafft einen interessanten Rahmen. Noch dazu spielt Kingdom Come in Sachen Charakterzeichnung und Dialoge in der oberen Liga. Die Figuren agieren glaubhaft und reden so miteinander, wie Menschen im Mittelalter eben geredet haben könnten. Das kommt auch in der deutschen Fassung gut rüber, dem guten Writing und prominenten Synchronstimmen wie der von Liam Neeson sei Dank. Nur leider sind die Dialoge in der deutschen Version absolut nicht lippensynchron.
Spielerisch überzeugt Kingdom Come vor allem mit seinem hervorragenden Questdesign. Die wenigsten Aufgaben lassen nur eine Lösung zu. Meistens gibt es mehrere Möglichkeiten, wie ihr an euer Ziel kommt. Kämpfe lassen sich oftmals sogar komplett umgehen. Das gilt sowohl für die Haupt- als auch die zahlreichen Nebenmissionen. Klar, es gibt auch die typischen Fetchquests doch die meisten Aufträge sind kreativ und verlangen von euch gerne mal, selber mitzudenken.
Schwertkampf will gelernt sein
Generell ist Kingdom Come: Deliverance ein Rollenspiel der anspruchsvolleren Sorte. Das liegt vor allem an den Kämpfen. Ähnlich wie in For Honor könnt ihr mit Schwert und Co in diverse Richtungen schlagen und müsst auf die Deckung eures Gegners achten. Jede Aktion verbraucht zudem Ausdauer, dazu kommen Combos, die für noch mehr Tiefgang sorgen. Es braucht einiges an Einarbeitung, bis ihr klarkommt. Aber sobald ihr den Bogen raus habt, machen die Duelle viel Spaß. Im Zweikampf funktioniert das System auch richtig gut, bei mehreren Widersachern auf einmal sieht das anders aus. Wenn euch jemand in den Rücken schlägt, während ihr euch auf den Kerl vor euch konzentriert habt und keine Möglichkeit hattet, auf den Angriff von hinten zu reagieren, kann das frustrierend sein. Da die Kämpfe aber nur einen geringen Teil der Gesamtspielzeit ausmachen, zieht das den Spielspaß nicht arg in Mitleidenschaft.
Das Charaktersystem funktioniert ähnlich wie in den „Elder Scrolls“-Spielen: Ihr werdet in den Bereichen besser, die ihr aktiv trainiert. Wer viel mit dem Schwert kämpft, wird, nun ja, ein guter Schwertkämpfer. Sprintet ihr viel, steigt eure Vitalität. Steigt ihr mit einer Fertigkeit im Rang auf, könnt ihr neue Perks freischalten. Das motiviert und erlaubt die Spezialisierung auf bestimmte Aspekte. Auch die Jagd nach besseren Waffen und Rüstungsteilen hält in Kingdom Come: Deliverance bei der Stange, auch wenn es sicherlich von der Suchtspirale eines Diablo weit entfernt ist.
Das große Aber
Ich könnte hier noch über so viele Dinge schreiben, etwa die Alchemie, das Dasein als Dieb oder das Bedürfnis, regelmäßig essen und schlafen zu müssen. Doch die letzten Zeilen dieses Artikels muss ich etwas anderem widmen: den Bugs. Kingdom Come: Deliverance ist leider eines dieser Spiele, die zu früh veröffentlicht wurden. Es ist kein Desaster à la Gothic 3. Es ist aber auch weitaus fehlerhafter als ein Skyrim oder The Witcher 3, denen man ihre kleinen Glitches gerne verzeiht. Jüngst ist zwar das Update 1.3 erschienen, das viele Bugs ausgemerzt hat. Doch es werden noch einige Patches notwendig sein, bis der Titel in dem Zustand ist, den man als Käufer von einem Vollpreisspiel erwarten darf.
Die hohe Fehlerrate ist besonders ärgerlich, weil es offiziell nicht möglich ist, seinen Fortschritt jederzeit frei abzuspeichern. Hier muss man sich entweder auf die automatische Speicherfunktion verlassen, regelmäßig ein Bett aufsuchen oder ständig Retterschnaps zu sich nehmen, um einen Schnellspeicherstand anzulegen. Doch das Gesöff ist recht teuer und zu hoher Konsum führt dazu, dass Heinrich zum Alkoholiker wird.
Klar, ich verstehe vollkommen, was Warhorse damit bezwecken will. Ich soll eben nicht vor jeder Entscheidung abspeichern können, um dann den Spielstand neu zu laden, wenn mir die Konsequenzen meines Handelns nicht gefallen. Doch wenn ich aufgrund eines Bugs dazu gezwungen bin, das Spiel neu zu starten und dadurch im schlimmsten Fall Stunden an Fortschritt verliere, ist das einfach nur frustrierend. Immerhin: Dank Patch 1.3 speichert Kingdom Come automatisch, wenn ich es beende. Ich muss mich also nicht mehr im Spiel schlafen legen, wenn in der echten Welt das Bett ruft. Außerdem gibt es längst eine Mod, die freies Speichern ermöglicht und die ich jedem von euch empfehle.
Fazit – Kingdom Come: Deliverance
Trotz der vorhandenen Probleme habe ich mich in Kingdom Come: Deliverance verliebt. Die fantastische Spielwelt, die großartigen Quests, die glaubwürdige Geschichte und das ausgefeilte Charaktersystem bereiten mir große Freude. Meine Erwartungen wurden zu großen Teilen erfüllt. Und ich habe mich wirklich sehr auf Kingdom Come gefreut. Nicht nur, weil Daniel Vávra, so umstritten er als Person auch sein mag, hier als Game Director verantwortlich zeichnet (der Mann hat immerhin mein absolutes Lieblingsspiel Mafia entwickelt), sondern auch, weil ich mir schon lange ein Rollenspiel im historischen Mittelalter gewünscht habe.
Aber zumindest vor dem Patch 1.3 hätte ich keine klare Kaufempfehlung ausgesprochen. Dafür war mir Kingdom Come zu unfertig. Nach dem Update sieht das etwas anders aus, trotzdem sollte sich jeder im Klaren sein, dass der Titel weiterhin seine größeren Fehler hat. Wer geduldig ist, sollte also vielleicht noch etwas länger warten (alle anderen dürften eh schon durchs virtuelle Böhmen reiten). Doch spätestens dann, wenn alle groben Bugs beseitigt sind, solltet ihr euch dieses Abenteuer nicht entgehen lassen, wenn ihr auf Rollenspiele mit Tiefgang steht. Denn Kingdom Come: Deliverance ist in vielen Aspekten ein außergewöhnliches Spiel, dem bloß der Feinschliff fehlt.
Bildquelle: Koch Media