Jahrzehnte hat es gedauert, bis Martin Scorsese sein Herzensprojekt auf die Leinwand bringen konnte. Nun ist es endlich soweit. Die Buchverfilmung Silence erstrahlt im blutigen Glanz.
Westliche Religion trifft auf Japan
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts kommen sie in Japan an: Christliche Missionare aus Europa, die ihren Glauben verbreiten wollen. Das Inselreich bietet sich dafür geradezu an – ist dort immerhin von der Heilsbringung durch Jesus Christus noch nie etwas gehört worden. So eifern die Priester der Kirche Roms gen Osten, um die neuen Schafe in die Herde Gottes aufzunehmen.
Einige Jahrzehnte später beginnt in Japan die Christenverfolgung. Feldherr Toyotomi Hideoshi wird das Treiben der verschiedenen Glaubensbrüder zu bunt. Er fürchtet den Einfluss westlicher Mächte und eine militärische Intervention der aufstrebenden Kolonialmächte aus Europa. 1587 werden alle christlichen Priester des Reiches verbannt. Später werden sie verfolgt, gefoltert und hingerichtet.
Unter ihnen befindet sich Christóvão Ferreira (Liam Neeson), ein Jesuitienpater, der das grausame Treiben der japanischen Samurai mit ansehen muss. Christen – Japaner und Europäer – werden gnadenlos gefoltert und getötet. Vor ihm entfaltet sich das Grauen, welches seine Missionsarbeit gnadenlos zerstört. Mit diesen Bildern beginnt Silence in die Geschichte der Christenverfolgung in Japan ein.
Die Suche nach einem abtrünnigen Pater
Jahre nach den Massakern an den Christen in Japan erreicht ein Brief Ferreiras sein Heimatland Portugal. Mit ihm trifft die Kunde ein, dass sich der Jesuitenpater von seinem Glauben loslöste und nun als Japaner mit Frau und Kind lebt. Von diesen Nachrichten aufgeschreckt, machen sich zwei seiner früheren Schüler allen verheerenden Beschreibungen und drohenden Vorwarnungen zum Trotz in Richtung Japan auf. Sebatião Rodriguez (Andrew Garfield) und Francisco Garpe (Adam Driver) wollen wissen, was es mit den Erzählungen über ihren alten Mentor Ferreira auf sich hat. Sie wollen nicht daran glauben.
So reisen sie über Macau, wo sie einen heruntergekommenen Landeskundigen namens Kichijirō engagieren, klammheimlich nach Japan ein. Was sie erwartet, übertrifft die schlimmsten Erwartungen der beiden Pater: die verbliebenen Christen müssen sich im Inselreich verstecken und gehen nur nachts heimlich ihren Gebräuchen nach. Diese sind aufgrund fehlender Priester zu laienhaften Fragmenten der eigentlichen christlichen Liturgie geworden. Die religiöse Gemeinde musste improvisieren.
Die Christen Japans sind stetiger Verfolgung ausgesetzt. Rodriguez und Garpe betreuen kurzerhand die Gemeinde eines Dorfes und erhoffen sich, bald mehr über das Schicksal Ferreiras zu erfahren. Als der örtliche Inquisitor Inoue (Issey Ogata) jedoch auch jenes Dorf untersuchen lässt, werden die beiden Jesuitenpater Zeugen der grausamen Christenverfolgung. Dies veranlasst sie, von nun an getrennt aufzubrechen, um Ferreira und eine Antwort auf das entsetzliche Leiden ihrer Glaubensbrüder zu finden.
Gewaltig inszeniert, grandios gespielt
Silence wird nicht nur von großen Schauspielern, sondern auch von seinen gewaltigen Bildern getragen. Letztere setzen sich unter anderem aus wunderschönen Naturaufnahmen, die das Setting der taiwanesischen Kulisse hergeben, und grausam inszenierter Folter zusammen, die nicht immer ins explizite rücken muss, um wehzutun. Viel mehr schaffen es die Bilder und Schauspieler gemeinsam, das Leiden der Verfolgten so darzustellen, dass der Zuschauer bisweilen unangenehm berührt wird. Das ist nichts Schlechtes.
Der Cast von Silence ist geradezu spektakulär. Allen voran spielte sich Andrew Garfield (The Amazing Spider-Man) in mein Herz. Diese Hauptrolle hätte ich dem Jüngling nicht zugetraut. Auch Adam Driver (Star Wars: The Force Awakens) mimt einen glaubwürdigen Pater Garpe. Liam Neeson (Schindlers Liste, 96 Hours) hat zwar vergleichsweise wenig Screen Time, enttäuscht in seiner Rolle als Ferreira aber nicht.
Die japanischen Besetzungen sind ebenfalls grandios und für mich eine Überraschung. Mit Kultregisseur Shin’ya Tsukamoto und Superstar Tadanobu Asano stammen gleich zwei Schauspieler aus der Riege des umstrittenen Kultfilms Ichi the Killer und legen eine wunderbare Performance ab. Yōsuke Kubozuka als Kichijirō treibt Garfield in den Wahnsinn und belustigt trotz schwerem Schicksals zuweilen. Und nicht zuletzt ist Issey Ogata zu erwähnen, der in seiner Darstellung des Inquisitors Inoue eine gekonnte Gradwanderung zwischen zwielichtigem Bösen und ulkigem, alten Mann schafft und trotz Overacting ‘echt’ wirkt.
Silence: Ein Film, der wehtut
Silence möchte nicht gefallen. Das neue Meisterwerk von Scorsese ist vielmehr ein Film, der einigen grundsätzlichen Fragen des Glaubens nachgehen will: Warum glaubt der Mensch? Warum schweigt Gott, trotz der unsagbaren Grausamkeiten, welche die Christen erleben, wenn er doch allmächtig ist? Was bringt Menschen dazu, an ihrem Glauben festzuhalten, wenn Gott schweigt?
Martin Scorseses Film gibt keine Antworten. Er ergreift nicht einmal Partei. In den Bildern stehen die Frömmigkeit der jungen Christen Japans sowie der westlichen Jesuitenpater gegen die Brutalität des Regimes der japanischen Machthaber kontrastreicher denn je gegenüber. Aber hier wird nicht übermoralisiert. Fast naturalistisch mutet die Inszenierung von Silence an. 161 Minuten lang erlebt der Zuschauer die erbarmungslose Suche des Pater Rodriguez. Unterhaltung ist Silence nicht. Dafür bin ich Scorsese dankbar.
Bildquelle(n): Concorde Filmverleih