Diese Kinowoche hat es in sich: Da starten mit „Legend of Tarzan“ und dem harmlos-netten Animationsspaß „Pets“ gleich zwei Hollywood-Blockbuster, außerdem der Berlinale-Gewinner „Seefeuer“ und „Zeit für Legenden“, ein Spielfilm über Jesse Owens, den vierfachen Goldmedaillen-Gewinner der Berliner Olympiade von 1936. Auch der experimentierfreudige Arthouse-Sektor ist gut vertreten, zum Beispiel mit der satirisch-düsteren, aber auch ermüdenden Schweizer Endzeit-Parabel „Heimatland“ oder mit dem amerikanischen Independentfilm „Wiener Dog“. In letzterem kommt ein Dackel der Reihe nach zu Personen, die ziemlich mit sich selbst beschäftigt sind und denen das Leben irgendwelche schrägen Rätsel aufgibt, auf die auch die Zuschauer nicht unbedingt eine Antwort finden.
Legend of Tarzan
Regie: David Yates, Verleih: Warner Bros.
Tarzan (Alexander Skarsgård) heißt eigentlich John Clayton und lebt mit Jane (Margot Robbie) längst wieder in England. Da überredet ihn der amerikanische Menschenrechtler George Washington Williams (Samuel L. Jackson), ihn in den Kongo zu begleiten, weil er Beweise für das böse Treiben der belgischen Kolonialherren sucht. Jane will unbedingt mit, aber die Freude über das Wiedersehen mit ihren Freunden aus dem Dorf der Kindheit währt nur kurz. Denn der auf die Diamanten eines Stammesfürsten erpichte Leon Rom (Christoph Waltz) nimmt das Paar und viele Dorfbewohner gefangen. Er will Tarzan dem rachsüchtigen Häuptling ausliefern. Aber Tarzan entkommt und Jane weiß, dass er sie retten wird.
Afrika, der dunkle Kontinent, hier visualisiert ihn David Yates als Fantasie verschreckter Besucher aus Europa. Schwarz-Weiß-Aufnahmen von halbnackten Kriegern mit weiß bemalten Gesichtern, der dampfige, grün-graue Dschungel: Überall lauert Gefahr in dieser unheimlichen Wildnis, die aus Sicht der Kolonialherren des 19. Jahrhunderts nur dazu da ist, um geplündert zu werden und um Sklaven zu nehmen. Diese Verknüpfung der Tarzan-Geschichte mit den Schrecken des Kolonialzeitalters gibt ihr eine spannende Realitätsnähe.
Andererseits spielt Yates auch ausgiebig mit der fiktionalen Überhöhung: Tarzan, der Superheld des Dschungels, er kämpft mit bloßer Körperkraft gegen ein Gorillamännchen, er stürzt sich Hals über Kopf in die Tiefe, weil er eben gerade kein Normalsterblicher ist. Sondern ein Mythos, den Alexander Skarsgård schön, ernsthaft, etwas schwermütig verkörpert. Und wenn der Kampf der Guten gegen die Bösen aussichtslos erscheint, müssen es die Tiere richten, die auf Tarzans Ruf herbeieilen, weil sie sonst nichts Besseres zu tun haben. Die Fantasien der Weißen können schon merkwürdig sein, aber diese eindrucksvolle Verfilmung huldigt der Tarzan-Geschichte wenigstens angemessen.
Zeit für Legenden
Regie: Stephen Hopkins, Verleih: Square One/Universum
Der afroamerikanische Leichtathlet Jesse Owens (Stephan James) kommt 1934 an der Ohio State University unter die Fittiche des weißen Trainers Larry Snyder (Jason Sudeikis). Der Mann trainiert den begnadeten Läufer und Weitspringer für die Olympischen Sommerspiele, die 1936 in Berlin stattfinden sollen. Owens stellt 1935 an einem einzigen Tag mehrere neue Weltrekorde auf. Aber er benötigt eine enorme mentale Stärke, um sich von den alltäglichen rassistischen Diskriminierungen nicht entmutigen zu lassen. Soll nun ausgerechnet er in der Höhle des Löwen antreten, dem Berliner Olympiastadion, wo sich Hitlerdeutschland mit seiner Ideologie von der arischen Herrenrasse feiern will? Auch das amerikanische olympische Komitee erwägt den Boykott der Spiele.
Aber wie das Tauziehen ausging, weiß auch noch heute fast jedes Kind: Jesse Owens wurde in Berlin zum Superstar, dem die Leute, Hitler hin oder her, nach jedem siegreichen Wettkampf zujubelten. Diese Geschichte ist jetzt 80 Jahre alt, und sie endlich in einem Spielfilm erzählt zu bekommen, lohnt sich auf jeden Fall, weil sie so unglaublich und faszinierend ist. Da kann der Regisseur gar nicht so viel falsch machen. Ein cineastischer Höhenflug ist ihm zwar nicht gelungen, aber er hat sich erkennbar Mühe gegeben.
Seefeuer
Regie: Gianfranco Rosi, Verleih: Weltkino
Auf der italienischen Insel Lampedusa lebt der Fischersohn Samuele, der am liebsten mit seiner Schleuder durchs Gebüsch streift. Das Leben der Einheimischen ist gemächlich, etwas aus der Zeit gefallen. Aber der Arzt, der den Jungen untersucht, kommt nicht zur Ruhe: Nun ist er auch für die unzähligen Flüchtlinge zuständig, die über das Mittelmeer kommen und die Insel halbtot, krank, traumatisiert erreichen. Oft rücken die Bergungskräfte nach einem Seenotruf aus und suchen auf dem Meer nach den Menschen in ihren kenternden Schlauchbooten oder finden im Inneren kleiner Fischkutter die Leichen qualvoll erstickter Passagiere.
Der Dokumentarfilm, der den Goldenen Bären auf den diesjährigen Filmfestspielen in Berlin gewann, zeigt die Not und das Leid der Menschen, die Europa in überfüllten, seeuntauglichen Booten zu erreichen versuchen, in drastischen Bildern. So deutlich, so nahe und unmittelbar haben wohl die wenigsten bislang zu sehen bekommen, wie sich eine Seerettung abspielt, wie die mageren, stummen Ankömmlinge auf der Insel durchsucht werden, wie der Tod den Leuten ins Gesicht geschrieben steht, die neben Sterbenden ausgeharrt haben. Rosi dramatisiert nichts, er schaut nur einfach genau hin. Und er verwendet die Szenen mit dem einheimischen Jungen und anderen Inselbewohnern als wirksamen Kontrast, als Verschnaufpause und emotionalen Anker. Der Junge ist witzig, viele Alltagsszenen haben Charme, und das Inferno, das über diese Insel hereinbricht, ruft nur umso mehr menschliche Regungen hervor. Ein Dokumentarfilm par excellence, aus dem Leben, der Gegenwart auf einer gar nicht so fernen Insel gegriffen, der das Herz anspricht und aufwühlt, gerade weil es nicht um politische Debatten oder gar Lösungen geht.
Bianka Piringer
Bildrechte: Warner Bros., SquareOne/Universum, Weltkino