Irgendwie sind die Kinostarts schon ungerecht verteilt: Da gibt es Wochen wie diese, in denen sich die tollen Filme gegenseitig auf die Füße treten – also kann man direkt froh sein, wenn dann wieder eine schwache Kinowoche folgt, damit sich der Berg sehenswerter Streifen abarbeiten lässt. Wie alle, die die Rezension auf dieser Seite schon gelesen haben, längst wissen, startet in dieser Woche auch eine Comic-Verfilmung, und woran erkennt man diese? Manchmal sieht „The First Avenger: Civil War“ flüchtig wie ein ganz normaler Actionfilm aus, zum Beispiel fahren Autos in eine Unterführung hinein, aber dann folgt ihnen dieser fliegende Mann mit seinen ausgebreiteten Schwingen… Wem der Sinn nach schnöderem Realismus steht, kann in dieser Woche ebenfalls aus dem Vollen schöpfen, zumal sich ja einige Filme auch ein wenig über die graue Wirklichkeit lustig machen.
Ich bin tot, macht was draus!
Regie: Guillaume und Stéphane Malandrin, Verleih: Camino
Aus Belgien kommt diese herrliche Buddy-Komödie über alternde Rockmusiker auf dem Weg zu ihrem ersten Amerika-Konzert. Leider ist der Sänger der Band kurz vor der Abreise gestorben, aber seine Freunde sorgen dafür, dass er trotzdem mitkommt: Seine Urne soll einen Ehrenplatz auf der Bühne haben. Band-Leader Yvan (Bouli Lanners), die anderen Musiker und der Lebensgefährte des Verschiedenen, von dessen Existenz niemand etwas wusste, kriegen sich unterwegs ziemlich in die Haare, weil nichts, aber auch gar nichts wie geplant klappt.
Mit schön trockenem Humor vertieft sich die Komödie in das Lebensgefühl von Freiheit und Rock’n’Roll-Rebellentum, dessen grauhaarige Jünger einfach nicht kapieren wollen, wie eng und seriös die Welt längst geworden ist. Sie sind sympathische Loser, oder positiv ausgedrückt, jung genug geblieben, um gegen den Strom zu schwimmen.
Bauernopfer – Spiel der Könige
Regie: Edward Zwick, Verleih: Studiocanal
Bobby Fischer (Tobey Maguire) ist erst 29 Jahre alt, als er 1972 der erste Schachweltmeister der USA wird. Sein aus mehreren Partien bestehendes Spiel gegen den sowjetischen Titelinhaber Boris Spassky (Liev Schreiber) in Reykjavik gilt mitten im Kalten Krieg als Prestigeduell für beide Länder. Entsprechend groß ist die Nervosität, zumal Fischer wiederholt mit seinen Sonderwünschen – zum Beispiel verlangt er, dass das Spiel in einen Tischtennisraum verlegt wird – die Begegnung platzen zu lassen droht.
Das meisterlich inszenierte WM-Finale bildet mit seiner atemberaubenden Spannung den bewegenden Höhepunkt des Dramas, das Fischers Werdegang von der Kindheit bis zu diesem Sieg schildert. Es setzt dem genialen Schachspieler, der jedoch schon früh psychisch belastet war, ein würdiges Denkmal.
Rico, Oskar und der Diebstahlstein
Regie: Neele Leana Vollmar, Verleih: Twentieth Century Fox
Das dritte und letzte Abenteuer führt die beiden Berliner Freunde Rico (Anton Petzold) und Oskar (Juri Winkler) an die Ostsee. Denn der grantige Nachbar Fitzke ist gestorben und hat Rico seine Steinesammlung vermacht. Als Rico feststellt, dass jemand den seltenen Kalbstein gestohlen hat, stellt der Junge, der immer meint, er sei tiefbegabt, mit seinem hochintelligenten Freund Oskar Nachforschungen an. Die Spur führt an die Küste und dort an einen FKK-Strand, aber die Jungs sind hart im Nehmen…
Die wunderbare Trilogie nach den Büchern von Andreas Steinhöfel findet mit diesem lustigen Detektivabenteuer einen hervorragenden Abschluss. Noch einmal kann man die liebenswerten jungen Helden und ihre Sprüche, die den Nagel stets auf den Kopf treffen, auf der Leinwand genießen. So tolle Kinderfilme wie diese mit dem ungleichen Gespann, das sich perfekt ergänzt, gibt es in Deutschland sonst eher nicht.
Chrieg
Regie: Simon Jacquemet, Verleih: Picture Tree / Déjàvu-Film
Im Elternhaus des schweizerischen Teenagers Matteo (Benjamin Lutzke) geht es ausgesprochen kalt zu. Sein Vater hat ihn auf dem Kieker und nach einem prekären Vorfall lässt er ihn vom Jugendamt zu einer Erziehungsmaßnahme abholen: Er soll auf einer abgelegenen Alm in den Bergen bei einem Bauern arbeiten. Dort aber erwartet Matteo eine Überraschung: Der Bauer trinkt, das Regiment führen seine Schützlinge Anton, Dion und Ali. Zuerst ist er ihrer brutalen Gewalt ausgeliefert, aber dann wird er in die Gruppe aufgenommen.
Mit krudem und zugleich zärtlichem Blick betrachtet der Erstlingsfilm des Schweizers Simon Jacquemet diese kleine Gemeinschaft verwahrloster Jugendlicher. Auf der Alm erschaffen sie sich ein Refugium außerhalb der Gesellschaft, die sie sowieso nicht gebrauchen kann. Die Maßnahme geht also in die falsche Richtung, aber Matteo erlebt im Kreis der Jugendlichen mehr emotionalen Rückhalt als zuhause. Für diese ungeschönte, unversöhnliche und dennoch anrührende Geschichte gab es den Saarbrücker Max-Ophüls-Preis.
Ein Hologramm für den König
Regie: Tom Tykwer, Verleih: X-Verleih
Der amerikanische Geschäftsmann Alan Clay (Tom Hanks) wird von einer Firma beauftragt, nach Saudi-Arabien zu fliegen und König Abdullah ein holografisches Telekommunikationssystem zu verkaufen. Auf dem Gelände einer künftigen Wüstenstadt, die der König bauen will, findet sich Clay jeden Morgen ein und wartet mit seinem Team in einem Zelt darauf, die Technologie präsentieren zu dürfen. Doch der König kommt nicht…
Tom Tykwer hat seinen Hauptdarsteller Tom Hanks bei den Dreharbeiten dem Sand und der Hitze der marokkanischen Wüste ausgesetzt, denn er gab echten Eindrücken den Vorzug vor digitalem Fake. In seinem Anzug mit Krawatte strahlt Alan Clay dennoch eine liebenswerte Menschlichkeit aus, die der Film auch dringend braucht als Gegengewicht zum Gefühl der Verlorenheit, die sich in dieser Culture-Clash-Geschichte breitmacht. Wie im gleichnamigen Roman von Dave Eggers verbindet sich im Kino – Film Globalisierungskritik mit der persönlichen Krise eines Mannes, aber die kühlen und düsteren Töne werden durch Humor unterhaltsam aufgelockert.
Bianka Piringer
Bildrechte: 20th Century Fox, X-Verleih, Picture Tree / Déjàvu-Film, StudioCanal und Camino