Auch in der neuen Kinowoche dürfte den BesucherInnen die Entscheidung nicht leicht fallen, welcher Film sich wirklich lohnt. Denn es gibt wieder einmal ein sehr breitgefächertes Programm, vom Blockbuster bis zum sozial engagierten Dokumentarfilm. Dabei zeigt sich nicht zum ersten Mal, dass Qualität und Kreativität prinzipiell auch ohne viel Geld möglich sind.
Der Nachtmahr
Regie: AKIZ, Verleih: Koch Media
Der Künstler Achim Bornhak, der sich hinter dem Pseudonym AKIZ verbirgt, hat mit diesem Teenager-Horrorfilm eine „dämonische Trilogie“ über Geburt, Liebe und Tod begonnen. Die 17-jährige Tina (Carolyn Genzkow) wird von einem hässlichen Monsterwesen verfolgt. Es scheint ein größeres Modell eines dieser missgestalteten Embryonen zu sein, wie sie früher zu Anschauungszwecken in Gläsern konserviert wurden. Ein Monster ist die Gestalt, die zu Tina ins Zimmer kriecht, schon deswegen, weil sie dazu bestimmt ist, ausgesondert und mit einem Schaudern angestarrt zu werden. Auch die psychisch labile Tina wird auf einmal angestarrt und beäugt, weil sie sich so seltsam benimmt. Ihre Jugend entpuppt sich als Höllentrip, bei dem der Anpassungsdruck enorm ist.
Wiederholt stürzt sich der düstere, aber auch gefühlvolle Film mit voller Kraft in die Reizüberflutung, die in den Diskotheken und auf den Partys herrscht, die Tina mit ihren Freunden besucht. Dann spiegelt sich in den Bildern und Tönen die Angst und Verwirrung, die in dieser wahnhaften Geschichte auf ihr Nervenkostüm prasselt und seine Festigkeit auf die Probe stellt. Ein faszinierender, rauschhafter Film zwischen Fantasie und Wirklichkeit, der völlig aus dem Rahmen fällt.
Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln
Regie: James Bobin, Verleih: The Walt Disney Company
Alice Kingsley (Mia Wasikowska) ist eine tollkühne Kapitänin, die wie ihr verstorbener Vater am liebsten auf dem Weltmeeren unterwegs ist. Doch die Londoner Männergesellschaft des späten 19. Jahrhunderts macht ihren Plänen einen Strich durch die Rechnung. Bevor sich Alice noch weiter aufregen kann, wird sie zurück ins Wunderland gerufen: Dort geht es dem verrückten Hutmacher (Johnny Depp) furchtbar schlecht. Um ihm zu helfen, soll Alice in die Vergangenheit reisen und die Familie des Hutmachers retten. Dazu benötigt sie aber die Chronosphäre, die im Besitz der Zeit (Sacha Baron Cohen) ist, eines Wesens, das Mensch und Uhr zugleich ist.
Das Sequel zu Tim Burtons Blockbuster „Alice im Wunderland“ aus dem Jahr 2010 beschert ein abenteuerlustiges, überdrehtes Wiedersehen mit dem Personal des Buch-Universums von Lewis Carroll. Alice muss sich in England gegen das Patriarchat behaupten, der Hutmacher will seine Familie finden und die Weiße (Anne Hathaway) und die Rote Königin (Helena Bonham Carter) haben noch ein Hühnchen miteinander zu rupfen. Dennoch fällt es schwer, im Durcheinander aus Zeitreisen, Uhren, Zahnrädern, Hasen und Haselmaus den Überblick über die Handlung zu bewahren. Die farbenfrohe Geschichte ähnelt einer CGI-Leistungsschau, in der alles möglich ist und schwupps, auch schon mal wieder rückgängig gemacht werden kann. Etwas weniger wäre hier mehr gewesen.
Mein Praktikum in Kanada
Regie: Philippe Falardeau, Verleih: Arsenal
Der kanadische Parlamentarier Steve Guibord (Patrick Huard) plagt sich in seinem Wahlkreis im Norden der Provinz Quebec mit Straßenblockaden und anderem lästigen Alltagskram. Aber plötzlich schneit ein politischer Praktikant aus Haiti in sein Leben und sorgt dafür, dass Guibord zum Star der landesweiten Nachrichtensendungen avanciert. Der Premier lässt nämlich das Parlament darüber abstimmen, ob Kanada Soldaten in den Nahen Osten schicken soll, und ausgerechnet Guibords Stimme wird den Ausschlag geben. Aber der Abgeordnete folgt dem Rat seines theoriefesten Praktikanten und will erst die Bürger selbst befragen.
Die komödiantische Posse speist ihren Witz aus der Tatsache, dass der Praktikant aus dem demokratischen Entwicklungsland Haiti viel mehr über Demokratie und Politik weiß, als der kanadische Abgeordnete selbst. Dieser ist sogar ein ziemlicher Verlierertyp, was sich schon daran erkennen lässt, dass er Angst vorm Fliegen hat: In einem Flächenstaat wie Kanada kommt er also immer nur so weit und schnell voran, wie sein Auto fährt. Der trockene Humor und die lustigen Einfälle überzeugen anfangs stärker, wenn die Ernüchterung über die reale Politik noch nicht so krass durchschlägt. Dennoch eine unterhaltsame Komödie mit einem ungewöhnlichen Thema.
Sonita
Regie: Rokhsareh Ghaem Maghami, Verleih: Realfiction
Sonita, die Titelheldin dieses packenden Dokumentarfilms, ist eine 18-jährige Afghanin, die im iranischen Exil lebt. Sie will Rapperin werden, aber ihr größtes Problem sind dabei gar nicht die iranischen Restriktionen gegenüber Sängerinnen. Sondern, dass ihre Mutter und ihre Brüder, die in Afghanistan leben, sie umgehend dorthin zurückbeordern: Sonita soll, wie andere weibliche Jugendliche auch, in ihrer Heimat zwangsverheiratet werden, und zwar gegen Geld. 9000 Dollar will die Familie für Sonita bekommen, die Summe, die ihr Bruder für seine Braut benötigt. Aber Sonita weigert sich. Die iranische Regisseurin und ihr Team beschließen, Sonita zu helfen. Aber wenn sie vor ihrer Familie in Sicherheit sein will, muss sie den Iran verlassen. So beginnt ein Abenteuer, das den Charakter eines Thrillers hat und Sonitas Rap über Zwangsheirat, der im Internet ein Erfolg wird, eine ungeheure Brisanz verleiht.
Bianka Piringer
Bildrechte: Koch Media, The Walt Disney Company, Real Fiction, Arsenal