Kurz bevor in Hollywood die Oscars vergeben werden, startet der in sechs Sparten nominierte „Spotlight“ in den deutschen Kinos: Wer spannende Unterhaltung erwartet, wird den Ticketkauf nicht bereuen. Unter den Dokumentarfilmen der Woche ist „Der Kuaför aus der Keupstraße“ über die Ermittlungen nach dem Nagelbombenattentat der NSU auf einen türkischen Friseurladen in Köln besonders sehenswert, aber auch „Above and Below“. Außerdem bietet sich ein Vergleich zweier Spielfilme an, in denen es ums Sterben und Abschiednehmen geht: „Freunde fürs Leben“ und „Der geilste Tag“.
Spotlight (Regie: Tom McCarthy, Verleih: Paramount Pictures)
In „Spotlight“ spielen nicht so sehr einzelne Personen die Hauptrolle, sondern der investigative Journalismus. Die Zeitung „Boston Globe“ beschäftigt ein Team namens „Spotlight“, das sich nur um das Aufdecken von Skandalen und die vorangehenden langwierigen Recherchearbeiten kümmert. Im Jahr 2001 kommt es dem massenhaften Missbrauch von Kindern durch katholische Priester in der Bostoner Diözese auf die Spur. Die Kirche vertuscht die Vorfälle seit Jahrzehnten systematisch. Der „Boston Globe“ bekam für seine Berichte den Pulitzerpreis.
Der Film schildert die detektivisch-akribischen Ermittlungen des Teams, dessen Mitarbeiter, unter anderem gespielt von Mark Ruffalo und Rachel McAdams, gleichzeitig an verschiedenen Stellen ansetzen, mit Opfern sprechen, unter Verschluss gehaltene Akten aufstöbern. Diese Parallelität entwickelt eine ungeheure Dynamik, weil sich die Einzelergebnisse wie Puzzlestücke ergänzen und die Arbeit in neue Richtungen lenken. In der traditionell katholischen Stadt, in der die Autorität der Kirche noch nie infrage gestellt wurde, muss erst ein Umdenken einsetzen, um über das Tabuthema des sexuellen Missbrauchs durch Priester zu sprechen. Regisseur Tom McCarthy inszeniert den Film ganz auf die Sache, nämlich die Arbeit des Zeitungsteams, fokussiert und verzichtet zugunsten der Spannung auf irrelevantes Beiwerk aus dem Privatleben der Journalisten.
Above and Below (Regie: Nicolas Steiner, Verleih: Déjà-Vu Film)
Der Dokumentarfilm des Schweizers Nicolas Steiner porträtiert fünf Menschen am Rand der amerikanischen Gesellschaft. Mit einer normalen, bürgerlichen Existenz haben sie längst gebrochen und sich in die Wüste oder an ihre Peripherie zurückgezogen. David bewohnt einen alten Militärbunker im Ödland, spielt Klarinette und Schlagzeug und bewundert jeden Abend den Sonnenuntergang. Das Paar Cindy und Rick hat sich in den Überflutungskanälen von Las Vegas ein Wohnzimmer mit Möbeln eingerichtet. Aber immer wenn ein starker Regen kommt, schwimmt ihr Hab und Gut davon und sie müssen von vorne mit der Einrichtung beginnen. Lalo schläft in einem Kanalrohr. In der Wüste von Utah rüsten sich April und ihre Freunde von der „Mars Society Desert Research Station“ für das Leben auf dem roten Planeten: Immer wenn sie ihren Stützpunkt verlassen, tragen die vom Ernst ihrer Mission erfüllten Rollenspieler einen Astronautenhelm.
Zunächst wirken diese Menschen schrullig, bemitleidenswert, arm, aber nach und nach verändert sich die Wahrnehmung: Sie haben Talente, Interessen, Werte, sie lieben ihr Leben und können sich über Dinge und Entdeckungen freuen, die der mit Arbeit und Konsum beschäftigte Durchschnittsmensch gar nicht wahrnimmt. Die stilistisch aufregende Inszenierung greift die Kreativität der Porträtierten auf und führt sie fort, mit Musikstücken und schwimmenden Tischtennisbällen. Ein Film, der die Augen öffnet und auf den Zuschauer und seine Weltanschauung zurückblickt.
Freunde fürs Leben (Regie: Cesc Gay, Verleih: Ascot Elite)
Tomas fliegt aus Kanada in seine spanische Heimat, um seinen Jugendfreund Julian ein letztes Mal wiederzusehen: Julian hat Krebs und verzichtet auf eine zweite Chemotherapie, weil der Arzt ihm gesagt hat, dass er nicht geheilt werden kann. Vier Tage schlendern die beiden Freunde durch die Straßen, unterhalten sich wie beiläufig über letzte Dinge, proben kleinere Ausbrüche, gehen sich auf die Nerven, kommen sich nahe. Und dann ist die Zeit auch schon um und es heißt, am Flughafen Abschied zu nehmen. Das Drama ist locker und humorvoll inszeniert, hervorragend und mit Understatement gespielt. Es gewinnt dem Thema interessante philosophische Aspekte ab, gerade indem sich die beiden Freunde scheinbar so verhalten wie immer. Dafür gab es heuer zu Recht fünf spanische Goya-Awards.
Der geilste Tag (Regie: Florian David Fitz, Verleih: Warner)
Benno (Florian David Fitz) und Andi (Matthias Schweighöfer) lernen sich in einem Sterbehospiz kennen. Sie beschließen, dem Leben noch ein paar aufregende Tage abzugewinnen, hauen ab nach Südafrika und nehmen eine Pistole mit, um dann, wenn es am schönsten ist, zu gehen. Das Roadmovie geht das Sterbethema wie der obige Film von der lockeren Seite an und kann die Traurigkeit mit einigen sehr gelungenen, ironischen Witzen in Schach halten. Auch vor Klamauk schreckt die Komödie jedoch nicht zurück, die sich sehr auf die Attraktion des gemeinsamen Auftritts der beiden deutschen Jung-Stars verlässt. Sah die Geschichte anfangs flippig und frech aus, wirkt sie später zuweilen etwas unschlüssig und flüchtet sich dann in ein bewährtes, klischeehaftes Rezept. Zur Frage, wie man mit dem frühen Tod und dem Abschiednehmen umgehen kann, fällt diesem Film, vor allem im Vergleich mit dem ganz anderen Kaliber „Freunde fürs Leben“, letztlich doch nur wenig Innovatives ein.
Bianka Piringer
Bildquellen: Paramount, Déjà-Vu Film, Ascot Elite, Warner