Klein, aber fein ist die Liste der Kinostarts zum Jahresende. Kreativität und Fantasie prägen mehrere Filme, deren Spektrum vom Zeichentrickspaß über die Künstlerbiografie bis zum Rachethriller reicht.
In „The Killing of a Sacred Deer“ versetzt der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos einen Tragödienstoff, der aus der antiken Mythologie entsprungen scheint, in die moderne Welt. Tragisch endete bekanntlich auch das Leben des Malers Vincent van Gogh. Mit der Frage, ob er sich selbst erschoss oder das Opfer eines unbekannten Gewalttäters wurde, befasst sich der visuell sehr ungewöhnlich gestaltete Spielfilm „Loving Vincent“. Eher ernst geht es auch in dem kirgisischen Drama „Die Flügel der Menschen“ zu. Es erinnert an die freiheitsliebende Kultur des einstigen Nomadenvolks, die in der Konsumgesellschaft mit ihren sozialen Hierarchien in Vergessenheit zu geraten droht.
An ein Spartenpublikum wenden sich mehrere Filme, wie der dokumentarische Beitrag „OPER. L’opéra de Paris“. Die Komödie „Laible und Frisch – Do goht dr Doig“ verrät schon mit ihrem Titel, dass es sich um einen launigen schwäbischen Heimatfilm handelt. Der schwedische Zeichentrickfilm „Bamse – Der liebste und stärkste Bär der Welt“ ist für das jüngste Kinopublikum gemacht. Er erzählt ein spannendes und lustiges Abenteuer über eine Dorfgemeinschaft, in der der listige Fuchs für Unfrieden sorgt. Die französische Komödie „Voll verschleiert“ richtet sich hingegen mit ihren satirischen Seitenhieben auf das Frauenbild konservativer muslimischer Kreise an das breite Mainstream-Publikum.
The Killing of a Sacred Deer
Regie: Yorgos Lanthimos, Verleih: Alamode Film
Der amerikanische Herzchirurg Steven (Colin Farrell) kümmert sich heimlich ein wenig um Martin (Barry Keoghan), den jugendlichen Sohn eines Mannes, der auf seinem Operationstisch starb. Martin aber drängt sich immer stärker in sein Leben. Nachdem Steven ihn seiner Frau Anna (Nicole Kidman) und den beiden Kindern vorgestellt hat, fordert Martin plötzlich Rache für den Tod seines Vaters. Steven soll ein Mitglied seiner Familie opfern, andernfalls würden beide Kinder und Anna von einer unheilbaren Krankheit dahingerafft. Prompt kann Stevens Sohn Bob (Sunny Suljic) die Beine nicht mehr bewegen. Steven lässt ihn gründlich durchchecken, aber die Ärzte können keine organische Ursache feststellen.
Wer ungewöhnliche Stoffe mag, wird hier auf seine Kosten kommen. Lanthimos überzieht die heile Welt der aufgeklärten Wohlstandsbürger mit beißendem Spott und lässt sie lustvoll im Chaos versinken. Ein 16-Jähriger hat in dieser merkwürdigen Geschichte die Macht, das Leben eines Chirurgen und seiner Familie aus den Angeln zu heben. Aber dieses funktionierte sowieso nur zum Schein, so kalt und steril, wie die Kontakte ablaufen. Statt liebevoller Beziehungen regieren Kalkül und sozialer Wettbewerb. Der atmosphärisch dichte Film übt mit seiner visuellen Gestaltung und der eigenwilligen Geschichte eine besondere Faszination aus und regt zu Diskussionen an.
Loving Vincent
Regie: Dorota Kobiela, Hugh Welchman, Verleih: Weltkino Filmverleih
Ein Jahr nach dem Tod des Malers Vincent van Gogh beauftragt ein französischer Postbote seinen Sohn Armand, einen letzten Brief Vincents an seinen Bruder zu überbringen. Armand findet heraus, dass Theo van Gogh ebenfalls gestorben ist. Nun will er wissen, wie der rätselhafte, leidgeprüfte Maler Vincent wirklich ums Leben kam. Er begibt sich auf Spurensuche, spricht mit seinem Farbenhändler, einem Bootsverleiher, seinem Arzt Dr. Gachet. Es tauchen eine Reihe von Ungereimtheiten auf, die Befragten widersprechen einander. Konnte sich Vincent überhaupt mit der Kugel im Bauch selbst zurück in seine Wohnung schleppen?
Vincent van Gogh schuf in acht Jahren 800 Bilder, aber zu Lebzeiten konnte er nur eines verkaufen. Der psychisch kranke Maler, der in Frankreich lebte, galt seinen Zeitgenossen noch nicht als großer Künstler. Allerdings war sein Arzt, Dr. Gachet, ein großer Bewunderer, der als Hobbymaler seinen Stil imitierte. Dieser Spielfilm veranstaltet ein Krimirätsel um die Frage, ob van Goghs Tod Selbstmord oder Mord war. Das Außergewöhnliche aber ist seine visuelle Gestaltung, denn obwohl im Film Schauspieler auftreten, besteht er letztlich aus handgemalten, animierten Bildern im gestrichelten Stil van Goghs. Mit sich langsam aufbauender Spannung zieht einen der Film sehr überzeugend in das Universum dieses unglücklichen Künstlers hinein. Die Geschichte mündet in ein bewegendes Finale.
Voll verschleiert
Regie: Sou Abadi, Verleih: NFP
Der französische Student Armand (Félix Moati) und seine Kommilitonin Leila (Camélia Jordana) sind ein Paar und wollen zusammen für eine Weile in die USA ziehen. Aber da kommt Leilas Bruder Mahmoud (William Lebghil) nach einem Aufenthalt im Jemen als radikaler Muslimbruder zurück. Er attackiert Armand und sperrt Leila in der Wohnung ein. Armand greift zu einem ungewöhnlichen Mittel, um Leila besuchen zu können. Er legt sich einen schwarzen Ganzkörperschleier an und gibt sich Mahmoud gegenüber als Studienkollegin von Leila aus. Mahmoud verliebt sich in die vermeintlich streng religiöse Frau und macht ihr einen Antrag.
Wenn Armand als falsche Muslima im schwarzen Ganzkörperschleier durch die Straßen von Paris fegt, zucken die Leute nicht selten erschrocken zusammen. Diese Komödie der iranischstämmigen Regisseurin Sou Abadi hat keine Scheu, sich über die Vollverschleierung und religiöse Intoleranz lustig zu machen. Es gibt viel zu lachen, der Humor ist zwar bissig, aber der Ton versöhnlich. Dieser Kinospaß lohnt sich.
Bianka Piringer
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