Der Regisseur Sion Sono gilt als Enfant terrible des neuen japanischen Kinos. Die einen feiern seine surreal-exzentrischen Filme, die drastische Sex- und Gewaltdarstellung mit sozialem Kommentar mischen, die anderen kritisieren ihn genau hierfür und werfen ihm eine zu simple und negativ geprägte Sicht auf die japanische Gesellschaft vor. Was auch immer man von ihm halten mag, Sono dürfte wohl nicht der erste sein den man hinter einer Manga-Verfilmung erwarten würde. Vor allem nicht wenn das Ausgangsmaterial Santa Inoues dystopisches Hip Hop-Märchen Tokyo Tribe ist. Avantgarde und Rap? Kann das funktionieren? Und wie!
Sex, Gewalt und Neon – Willkommen in Tokyo
Die Eröffnungsszene wirft uns direkt ins verdreckte Tokyo der nahen Zukunft, wo es immer Nacht zu sein scheint und Anarchie und Chaos die Straßen beherrschen. Die Stadt ist in ihre 23 Bezirke zerfallen, die von konkurrierenden Gangs beherrscht werden, den sogenannten Tribes. All das erfahren wir von einem rappenden Shôta Sometani in Begleitung einer DJ-Oma – denn Sono inszeniert Tokyo Tribe als überdrehtes Hip Hop-Musical, das Großteils auf normale Dialoge verzichtet und lieber die Musik sprechen lässt. Tatsächlich sind viele der verwendeten Schauspieler Laien, die ihre Brötchen eigentlich mit rappen verdienen. Nach und nach werden die wichtigsten der 23 Gangs in Szene gesetzt und dem Zuschauer ein aufwändiges Set nach dem anderen um die Ohren gehauen. Von der Liebe zum Detail, die hier an den Tag gelegt wurde, könnte sich manche Hollywoodproduktionen eine Scheibe abschneiden. Während es sich die friedfertigen Musashino-Saru um ihren Anführer Kai (Young Dais) in einem amerikanischen Diner gemütlich gemacht haben und von Liebe und Frieden rappen, erfahren wir, dass die Bukuro Wu-Ronz mit diesen Themen eher wenig anfangen können und lieber versuchen ihr Territorium auszuweiten sowie die anderen Tribes zu unterwerfen.
Aus diesem Umstand heraus entwickelt sich ein zweistündiges Spektakel, welches uns Minute um Minute mehr absurde Charaktere und Szenen entgegenwirft, ohne dabei aber den roten Faden zu verlieren oder ins Alberne abzudriften. Da wäre Mera (Ryôhei Suzuki), der penisfixierte Anführer der Wu-Ronz und Besitzer der wohl knappsten Unterhose der Welt oder der Yakuzafürst Buppa (B-Film Legende Riki Takeuchi), der den ganzen Film über mit verdrehten Augen einen riesigen Gummidildo poliert, wenn er nicht gerade mit Mitgliedern der japanischen Regierungspartei LDP Menschenfleisch isst – womit wir auch wüssten, was Sono bei den letzten Wahlen nicht angekreuzt hat. Spätestens mit Auftauchen einer chinesisch anmutenden Hip Hop Gottheit, die ihre ausgebüxte Tochter (Nana Seino) sucht, ergibt man sich dem Film dann endgültig und lässt sich von den Beats und Sonos gewohnt kinetischen Bildern durch das Geschehen treiben. Subtile Referenzen an Filme wie Scarface oder Clockwork Orange ziehen an uns vorbei, immer drastischere Gewaltexzesse prasseln auf uns ein und lassen uns schwitzend im Sessel zurück. Die am Ende präsentierte Ursache für die Konflikte im Film nimmt dann nicht nur pointiert das Männlichkeitsbild im Hip Hop aufs Korn, sondern liefert vermutlich die Ursache von 90 % aller Krisen in der Welt.
Tokyo Tribe – Never Ever Die!
Laut eigener Aussage konnte Sono der Thematik des Films zunächst nicht viel abgewinnen und ließ sich hauptsächlich vom großzügigen Budget locken. Es war eine Auftragsproduktion, die vermutlich versuchte auf dem unerwarteten Erfolg von Takashi Miikes Manga-Adaption Crows Zero mitzuschwimmen, in der es ebenfalls um Bandenkriege geht. Erst als er sich die Freiheit nahm sich vom Ausgangsmaterial zu entfernen, dieses quasi zu remixen, wurde er mit dem Thema warm. Ironischerweise ist Tokyo Tribe trotz dieser Vorgeschichte sein bis dato vielleicht bester, auf jeden Fall aber zugänglichster Film geworden. Egal ob ihr etwas mit Hip Hop anfangen könnt oder nicht: Die Welt von Tokyo Tribe wirkt in sich geschlossen einfach so überzeugend und mitreißend, dass auch Skeptiker dem Film eine Chance geben sollten. Wer Sonos bisheriges Schaffen interessiert verfolgt hat, sollte indes überhaupt nicht groß nachdenken, sondern das Hip Hop Musical so schnell wie möglich in seine Filmsammlung aufnehmen.
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Benjamin Wilhelm
Bildquelle(n): © 2014 INOUE SANTA / „TOKYO TRIBE“ FILM PARTNERS
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