Wie schafft man es, in kürzester Zeit so viele Menschen davon zu überzeugen, eine Kolonie am Ende der Welt aus der Erde zu stampfen, ohne dass es eine Aussicht auf Rückkehr gäbe? Im 18. Jahrhundert war das eine einfache Sache: man erschafft eine Sträflingskolonie! Genau solch eine ließ die britische Krone nach der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und dem damit zusammenhängenden Verlust ihrer Kolonien in Nordamerika, in Australien aufbauen – der wohl bekanntesten Strafkolonien der Welt. Laurent-Frédéric Bollée widmet dem beschwerlichen Weg zur Gründung dieser Kolonie seine 500 Seiten starke Graphic Novel Terra Australis.
Terra Australis: Eine historische Graphic Novel
Wie nähert man sich einer so komplexen Geschichte wie der Gründung der Sträflingskolonie Australien? Wie kann man einen seriösen Comic erschaffen, der sich historischer Fakten sensibel bedient aber zugleich auch eine ansprechende Geschichte erzählt? Terra Australis ist solch ein gigantisches Werk, das den Spagat zwischen gehobener Unterhaltung und historischer Zitate setzt. Gekonnt werden Einzelschicksale der Sträflinge, Wärter, Entdecker und Ureinwohner in das große Ganze geflochten.
Die schicksalhafte Reise
Da ist zum Beispiel der Waisenjunge John Hudson, der die Gelegenheit während seiner Kinderarbeit nutzt, um einen kleinen Wertgegenstand zu stehlen und damit sein Elend zu verbessern. Schnurstraks wird er erwischt und zu 7 Jahren Verbannung in der fernen Sträflingskolonie verurteilt. Neben einigen anderen Verurteilten beleuchtet Bollée im Comic Terra Australis auch den Werdegang des Expeditionsleiters und Kolonie-Gouverneurs Arthur Phillip und zeichnet damit einen zerrissenen Charakter, der zwischen melancholischer Nachdenklichkeit und fester Entschlossenheit schwankt. Die Schicksalsschläge der Ureinwohner Australiens kommen u.a. in der Figur des Bennelong zum Tragen, der von seinen Stammesangehörigen durch die Briten entführt wird und fortan zwischen den Welten der Aborigines und der „zivilisierten“ Welt verloren wandelt.
Anarchie und martialische Militärgewohnheiten begleiten die Figuren in Terra Australis und man möchte nicht mit ihnen tauschen, wenn es auf die sich über tausende Kilometer erstreckende und monatelang hinziehende Reise über die Meere geht. Ohne Aussicht auf Rückkehr fristen die Strafgefangenen erst auf ihren schaukelnden Gefängnissen ihr übles Dasein, bis sie schließlich durch harte Arbeit den Rest ihres Lebens einen Kontinent urbar machen und ihre neue Heimat nennen müssen.
Philippe Nicloux: der richtige Mann für die Zeichnungen
Zeichnerisch hat Laurent-Frédéric Bollée Unterstützung bei Philippe Nicloux gefunden. Dieser verleiht dem historischen Comic-Roman mit seinen harten, auf Schwarzweiß reduzierten Zeichnungen einen starken Ausdruck. Das Düstere aber zugleich Strahlend-Abenteuerliche dieser Expedition vermischt er mit dunklen Gesichtszügen seiner starr umrissenen Figuren und Szenerien bspw. im Bauch der Schiffe sowie den schillernden Urwald-Arrangements. Bollée selbst sagte, dass kein anderer als Nicloux die Graphic Novel Terra Australis hätte illustrieren können.
Die Geschichte von der Reise und dem Aufbau der ersten Sträflingskolonie in Australien ist mitreißend. Jene Einzelschicksale der Protagonisten wirken überzeugend und man würde gern mehr über die Menschen erfahren, die ungewollter Weise auf den neuen Kontinent geschickt wurden. Bollée und Nicloux verstehen es, in Terra Australis gemeinsam Erzählung und Bild miteinander in Einklang zu bringen und haben damit eine opulente Graphic Novel geschaffen, die den Leser zu fesseln versteht. Beim Splitter-Verlag auf Deutsch erschienen, kann man sich von der Geschichte um die Kolonisierung Australiens auf kurzweilige aber ansprechende Art und Weise ein Bild machen.
Marc Zehmke
Bildquelle(n): Splitter-Verlag