Ein Meister seines Fachs
Es gibt nur wenige Ausnahmetalente, die trotz ihrer vergleichsweise wenigen Werke einen unerschütterlichen Platz in den Ruhmeshallen der japanischen Popkultur besitzen. Satoshi Kon, möge er in Frieden ruhen, ist eines von diesen absoluten Ausnahmetalenten. Gerade einmal 5 Werke umfasst sein Schaffen, der 6. Film „Yume Miru Kikai“ wurde aufgrund seines tragischen Todes im Jahre 2010 nie vollendet. Das Satoshi Kons Werke von großer Bedeutung waren, zeigt sich selbst außerhalb der Anime-Szene – auch wenn dies vielen nicht bewusst ist. So ist Kons „Perfect Blue“ eine Inspiration, wenn nicht sogar Vorlage für Darren Aronofskys „Black Swan“ gewesen und Kons letzter großer Film „Paprika“ inspirierte Christopher Nolan zu seinem Blockbuster „Inception“. Doch neben diesen monumentalen Filmwerken, welche noch in Jahrzehnten eine Quelle der Inspiration für Künstler des Osten, aber auch des Westen sein werden, gab es noch Paranoia Agent. Eine nicht minder düstere, bedrückende und verrückte Anime-Serie, welche nun erstmalig auf Bluray in Deutschland erscheint.
Ein Trip durch die surreale Realität
Schon in den ersten Minuten von Paranoia Agent wird klar, dass Satoshi Kon keine Film-Budgets braucht um seine Vision zu verwirklichen. Alles wirkt vertraut und doch neu. Kons typisches Charakterdesign besitzt Wiedererkennungswert, was wohl vor allem auch an der erneuten Zusammenarbeit mit dem Animationsstudio Studio Madhouse liegt. Paranoia Agent folgt Satoshi Kons üblicher Formel. So werden wir als Zuschauer zu Beginn noch in ein relativ geradliniges, einfaches, jedoch hochgradig spannendes Szenario geworfen. Ab der vierten Folge verschwindet der zuvor klar erkennbare rote Faden jedoch immer mehr. Chronologische Handlungsabläufe sind kaum noch zu erkennen, statt klarer Antworten liefert Kon philosophisches Wirr-Warr, welches enorm viel Interpretationsspielraum offen lässt und mit jeder Antwort die er bis zur finalen 13. Episode liefert, entstehen mindestens drei neue Fragen. Es ist nichts besonderes, wenn ihr nach dem Ende der Serie mit offenem Mund da sitzt und nicht ganz verstanden habt, was gerade passiert ist. Nach dem Abspann empfiehlt euch eine der Hauptfiguren sogar die Serie einfach noch einmal anzuschauen, da ihr sicherlich vieles übersehen habt. Doch dieses konstruierte Chaos zeichnet ein Satoshi Kon Werk eben aus.
Ein Schläger zieht durch die Stadt
Zu Beginn ist Paranoia Agent wie bereits erwähnt sehr ruhig und gemächlich. Wir lernen Tsukiko Sagi kennen: Eine erfolgreiche Designerin, die jedoch unter großem Druck steht, da ihr Verlag dringend neue Figuren von ihr benötigt. Eines Abends wird sie auf dem Weg nach Hause von einem Jungen niedergeschlagen. Alles woran sie sich noch erinnern kann sind die goldenen Rollerblades und sein goldener Baseballschläger. Die Presse tauft den Schläger daraufhin „Shonen Bat“. In den nächsten Episoden lernen wir Stück für Stück alle Hauptfiguren kennen, welche in Kontakt zu Shonen Bat stehen – denn dieser kennt keine Gnade und versetzt die ganze Stadt in Angst und Schrecken.
Das Interessante am Handlungsverlauf sind die wechselnden „Point of Views“ – Mit jedem neuen Hauptcharakter wechselt auch der Zuschauer die Perspektive, bis schließlich die beiden Polizisten Ikari und Maniwa auf die Spur von Shonen Bat kommen. Doch wer denkt, dass die Geschichte sich nun langsam, aber stetig aufklärt, liegt meilenweit daneben. Bereits zu Beginn wird man dazu animiert mitzudenken, zu rätseln und Shonen Bat zu identifizieren. Ab der fünften Episode steigert sich dieser Zustand jedoch ins Extreme und jedes Zwinkern des Zuschauers könnte schon ein verpasstes Indiz sein.
Schwere aber befriedigende Kost
Ja, wer nach dem Lesen der letzten Zeilen denkt, dass Paranoia Agent anstrengend sei, liegt vollkommen richtig. Doch wenn in den letzten Episoden aus den Puzzleteilen langsam ein Bild wird und man versucht das nicht ganz eindeutige Ende zu interpretieren, merkt man, dass Paranoia Agent einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat – und es einen mehr mitnimmt als andere Anime es tun. Und ehrlich gesagt gibt es doch kaum etwas schöneres, als sich einem Werk zu widmen, dass einen nicht so einfach loslässt. Medien, die nach dem Konsumieren sofort in Vergessenheit geraten gibt es doch bereits mehr als genug.
Paranoia Agent ist brutal, düster, deprimierend, spannend, philosophisch, bewegend und zum Nachdenken anregend. Satoshi Kon wollte nie Standard-Kost abliefern und das hat er auch mit seiner einzigen Serie Paranoia Agent vollends bewiesen. Ein absoluter Meilenstein, Genre-Klassiker und unserer Meinung nach zeitloses Referenzwerk.
Kevin Kunze
Bildquelle(n): Copyright Satoshi Kon MADHOUSE / PARANOIA AGENT COMITTEE