Gerade erst hat die Gamescom mit Glanz und Gloria ihre Pforten geschlossen. Die Besucherzahlen haben wie die letzten Jahre die Erwartungen erfüllt. Die Themen waren spannend und es gab viel zu sehen. Zumindest konnte man viele Menschen beim Warten in viel zu langen Schlangen beobachten. Dieses Jahr war neben E-Sports und „der Spieler im Mittelpunkt“ vor allem ein Thema absolut omnipräsent – Virtual Reality. Oder anders gesagt: die Zukunft der Videospiele, der Stern am Spielehimmel. So versuchen uns die Werbeversprechen und Slogans der Hersteller zumindest die Hoffnung auf eine neue Ära des Entertainments vorzubereiten.
Übertriebene Erwartungshaltungen
Bin ich wirklich bereit für die virtuelle Realität oder ist sie bereit für mich? Kein Thema der Messe hat mich so sehr interessiert und auf keine Erfahrung habe ich sehnsüchtiger gewartet, als endlich eine der neuen Brillen auszuprobieren, die mich in das Spiel hineinsaugen sollten.
Immerhin kannte ich die Grunderfahrung, die mich begeistern sollte. So war ich schon dank der Googlecardboard und der Samsung Gear VR einigermaßen vorbereitet und konnte es kaum noch erwarten, die Big Player des Teams kennenzulernen. Ich musste einfach dem Verlangen nachkommen, Teil einer neuen Ära zu sein. Ich war bereit, mich von der HTC Vive aus den Socken hauen zu lassen und mein gesamtes Weltbild auf den Kopf zu stellen. Zumindest wenn es um meine Erfahrungen als Gamer ging und die Sichtweise auf Videospielewelten.
So kam es, dass ich meiner inneren Vernunft trotzte und mich für nahezu 2 Stunden wie ein Lemming der Masse anpasste und in einer viel zu langen Schlange darauf wartete, endlich dank der HTC Vive wie im Film Tron, selber in das Spiel einzutauchen. Mein Rücken fühlte sich an, als ob sich die Wirbelsäule versucht, in Richtung Füße durchzuarbeiten. Aber ich bin selber Schuld. Die Jungs vor mir hatten immerhin an einen Klappstuhl gedacht. Selten empfand ich einen solchen Neid in meinem Leben. Wie gerne hätte ich so einen Stuhl gehabt.
Dann war es soweit. Ich sammelte die Überreste meiner Wirbelsäule auf und bewegte mich entschlossen Richtung Virtual Reality. Ich war bereit wie nie zuvor, etwas vollkommen Neues zu erleben. Ein wenig Angst hatte ich, denn ich hatte schon viel von der eintretenden Motion-Sickness gehört und selber ist mir beim Umgang mit der Samsung Gear VR auch schon etwas flau im Magen geworden. Aber das nahm ich in Kauf.
Das Erlebnis der neuen Ära
Die nette Hostess säuberte noch gründlich die Brille, damit ich nicht im Schweiße des Vorgängers bade. Ich bekam die Vive aufgesetzt und tauchte in die virtuelle Welt ein. Dabei tastete ich mich vorsichtig nach den Controllern vor, da ich nicht aus Versehen auf meinem Blindflug die Hostess unsittlich anfassen wollte.
Geschafft! Hier bin ich! Im Spiel – nicht mehr nur davor, sondern mittendrin.
Ich war in einer Art Zirkuszelt. Vor mir ein Tisch mit Fußbällen, Baseballbällen, Hämmern und allerhand Dingen zum Werfen. Davor stand ein Regal mit feinstem Porzellan, ein Kindheitstraum ging in Erfüllung. Sehr schnell und intuitiv nahm ich die Controller der Vive zum Aufheben der Gegenstände und der Spaß ging los. Ein Gegenstand nach dem nächsten flog gezielt in Porzellanvasen, Hasenfiguren und Teller.
Nachdem die Apokalypse in dem Regal gewütet hat und die Dampfwalze, welche meinen Namen trug, alles in kleine Scherben geworfen hatte, ging es zum nächsten Event: dem Bogenschießen. Genauso intuitiv nahm ich die einzelnen Pfeile auf und beförderte diese in guter Robin Hood-Manier direkt ins Ziel. Die grüne Jacke trug ich ja schon passend. Es fehlten also nur noch die modischen Strumpfhosen. Aber die Gefahr, von der Convention ausgeschlossen zu werden, war zu hoch.
Eine Techdemo jagte die nächste. So schlug ich mit Schwertern auf Ballons ein, welche dann im Konfettiregen zerplatzten oder schoss mit Revolvern auf noch mehr durch die Luft wirbelndes Porzellan. Ich hatte sichtlich Spaß an meiner Zerstörungswut und die Steuerung ging erstaunlich intuitiv von der Hand, als hätte ich so etwas schon öfter gemacht. Stolz war ich aber vor allem, dass ich niemanden der um mich Stehenden verletzt habe oder den 3000€-PC, der die Vive belebt hat, in Schutt und Asche gelegt habe.
Die Enttäuschung meiner kindlichen Erwartung
So viel Spaß ich auch hatte: das Erlebnis war leider eher ernüchternd, vielleicht sogar ein wenig enttäuschend. Meine Erwartungen waren auch eher sehr hoch angesetzt, aber ich habe wirklich mit einer anderen Qualität von Erlebnis gerechnet.
Der Bildschirm lieferte eine Auflösung von 2160×1200 Pixeln, welches eine Auflösung von 1080×1200 Pixeln pro Auge ergibt. Genau hier liegt meine erste Ernüchterung. Denn wenn ein Display mit so einer Auflösung direkt vor den Augen flimmert, dann nimmt man leider wohl oder übel die einzelnen Pixel wie ein kleines Wabennetz wahr. Das Bild wirkt dabei nicht so brillant wie es sollte und hat bei mir einige Male dafür gesorgt, dass ich aus diesem sonst sehr immersiven Erlebnis hinausgerissen wurde.
Als viel störender empfand ich aber vor allem das Sichtfeld oder das Field of View. HTC liefert hier mit 110° sogar ganze 10° mehr als die Oculus und die Playstation VR. Das menschliche Auge aber hat ein Sichtfeld von 180°, was dafür sorgt, dass ihr im Randbereich beim peripheren Sehen immer die Brille in Form von schwarzen Rändern wahrnehmt. Das hat mich so gewaltig gestört, dass ich selbst nach gut 20 Minuten Spielzeit immer noch nicht richtig das Gefühl des Eintauchens hatte und ich mich eher fühlte, als würde ich durch ein Loch auf einen Fernseher starren. Okay – genau das passiert in dem Fall sogar, aber ich habe mit etwas anderem gerechnet.
Nun werden vor allem Brillenträger wissen, dass man sich auf Dauer an diese Ränder gewöhnt und sie irgendwann kaum noch wahrnimmt. Leider ist es trotz alledem nicht die Erfahrung, die ich mir gewünscht und die ich erwartet habe.
Virtuelle Realität: Erwartungen und Hoffnung
Ich bin in der Tat leicht entzaubert, wenn es um virtuelle Realität geht und ich denke genau, das ist auch gut so. Der Hype um das Thema ist so groß geworden, dass sich die Hersteller und auch die virtuelle Realität selbst nicht mehr gerecht werden konnten und letztere nachher nur zum witzigen Gimmick mutiert, wie die Motion Controller der Wii.
Meine Erwartung hat jetzt wieder festen Boden unter den Füßen und ich kann mich mit gutem Gewissen auf die nächsten Jahre und die nächste Generation der virtuellen Realität erfreuen und dann hoffentlich mit 180° Sichtfeld.
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Autor: Axel Cohrs
Bildquelle(n): Axel Cohrs