Unter den neuen Werken, die gleichzeitig in die deutschen Kinos wollen, herrscht wieder einmal großes Gedränge. Neben konventioneller Kost sind auch extravagantere Beiträge vertreten, wie der für ein erwachsenes Publikum konzipierte Animationsfilm „Anomalisa“, der für den Oscar nominiert ist. Ebenfalls sehenswert ist, und zwar nicht nur wegen seiner Oscarnominierungen, das altmodische Einwandererdrama „Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten“. Der Actionfilm „Point Break“ ist auf der Jagd nach spektakulären Extremsport-Aufnahmen und der Dokumentarfilm „The True Cost – Der Preis der Mode“ vergällt den Zuschauern nachhaltig und leider auch völlig zu Recht die Lust am Klamottenkauf zu Schnäppchenpreisen.
Anomalisa (Regie: Charlie Kaufman & Duke Johnson)
Verleih: Paramount
Michael Stone ist ein gefeierter Bestsellerautor zum Thema Motivation, aber auf einer seiner unzähligen Dienstreisen ereilt ihn der Blues. Die Menschen in seinem Hotel in Cincinnati wirken auf merkwürdige Weise austauschbar und sprechen auch alle, egal ob Mann oder Frau, mit derselben Stimme. Einzig Lisa, eine junge Frau aus der Provinz, die extra zu seinem Vortrag angereist ist, und er selbst scheren aus dieser Eintönigkeit aus. Auf der Suche nach menschlicher Nähe, die die Einsamkeit der Hotelnacht lindern könnte, geht der Familienvater innerlich auf Distanz zu seinem ganzen bisherigen Leben. Die Animation mit Stop-Motion-Puppen erweist sich als optimal, um Michaels Gefühl, ein Roboter geworden zu sein, Ausdruck zu verleihen. Obwohl er selbst kein wirklich liebenswerter Charakter ist, ermöglicht seine Marionettengestalt in Kombination mit der Authentizität der atmosphärischen Eindrücke und der Dialoge eine starke emotionale Identifikation. Nicht nur Michael, das macht dieser tief bewegende Film klar, hat an der Bürde einer zeitgenössischen Alltagsroutine mit ihren flüchtigen Begegnungen und der zu Floskeln geronnenen Kommunikation schwer zu tragen.
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Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten (Regie: John Crowley)
Verleih: Twentieth Century Fox
Mit seinen drei Oscar-Nominierungen für den besten Film, das beste adaptierte Drehbuch (Nick Hornby) und die beste Hauptdarstellerin (Saoirse Ronan) ist diesem im New York der 1950er Jahre angesiedelten Einwanderer- und Liebesdrama ein erhöhtes Publikumsinteresse gewiss. Aber das verdient der mit epischem Atem und einem guten Gespür für den Look der Epoche erzählte Film auch voll und ganz. Die junge irische Immigrantin Eilis arbeitet in einem schicken Kaufhaus und wohnt in einer privaten Pension für ledige Frauen. Hin- und hergerissen zwischen Heimweh, Einsamkeit und der Erkenntnis, dass sie hier ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen kann, verliebt sie sich in einen Mann aus italienischer Familie und heiratet ihn. Aber dann ruft sie der Tod ihrer Schwester für eine Weile zurück in die Heimat – wo sie auf einmal eine gefragte Frau ist und ganz neue Perspektiven zu haben scheint. Saoirse Ronan ist das Herz dieser gefühlvollen Migrantenstory: Mit einmaligem Gespür für den inneren Zwiespalt ihrer Figur, die ihren Weg allein finden muss, entwickelt sie ihre Ausdruckskraft im stillen Betrachten der Dinge. Sein ungewohnter Ernst, mit dem es sich auch in die Eigenheiten dieser vergangenen Zeit vertieft, lässt diese schöne Drama zu einem schwelgerischen Kinoerlebnis werden.
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Point Break (Regie: Ericson Core)
Verleih: Concorde
Wellenreiten, Basejumpen, Boxen, Klettern, Tauchen, Snowboarden, Motocross-Fahren: Es gibt praktisch keine Sportart, in der der junge FBI-Anwärter Utah (Luke Bracey) keine gute Figur macht. Er soll undercover zu einer Gruppe von Extremsportlern Kontakt aufnehmen, deren Überfälle auf Wirtschaftsunternehmen der Polizei Rätsel aufgeben. Das Remake des Films „Gefährliche Brandung“ von Kathryn Bigelow aus dem Jahr 1991 wirkt mit seiner Ökobotschaft und dem Spaß der Charaktere am Outdoorsport ausgesprochen zeitgemäß. Die gestählten männlichen Körper und die Action-Schauwerte in 3D werden wie in einem Werbefilm gefeiert. Die Absicht, das Publikum mit spektakulären Aufnahmen wie der eines Basejump-Fluges zu beeindrucken, überlagert hier alle erzählerischen Themen und Botschaften. Dabei bringt der Film seinen Helden Utah unbeabsichtigt an die Grenze zur Lächerlichkeit: So viele Kunststücke unversehrt zu meistern, wirkt nicht mehr glaubwürdig. Aber wie gesagt, an Schauwerten mangelt es nicht.
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The True Cost – Der Preis der Mode (Regie: Andrew Morgan)
Verleih: Grandfilm
Die Deutschen kaufen wie verrückt Klamotten, schon weil sie so unerhört günstig sind. Quillt der Kleiderschrank über, wird munter aussortiert, um Platz für die neuen Trends zu schaffen. Das Phänomen der „Fast Fashion“ hat Europa und Amerika fest im Griff. Die großen Modeketten setzen die Fabriknäherinnen in Asien mit ihren kurzen Lieferfristen und der Vorgabe, billig zu produzieren, unter ungeheuren Druck. Der Dokumentarfilmer Andrew Morgan legt die Zusammenhänge zwischen der westlichen Konsumfreude und der Not der Textilarbeiterinnen in Bangladesch in Bild und Wort überzeugend frei. Seine Kritik erstreckt sich auch auf die Umweltbelastung durch die indischen Lederfabriken und den Pestizideinsatz im Baumwollanbau. Die Alternative sind Kleidungsstücke, die mehr kosten, dafür aber aus ökologischer Fairtrade-Produktion stammen. Morgan und seine Gesprächspartner prophezeien sogar im letzten Abschnitt den nahenden Untergang des Kapitalismus und eine Abkehr vom materialistischen Lebensstil. Die kluge Argumentation und die Faktenfülle liefern reichlich Diskussionsstoff und besitzen genug Spannung, um tatsächlich ein Umdenken auf Verbraucherseite anstoßen zu können.
Bianka Piringer
Bildrechte: Paramount, Concorde, Grandfilm, Twentieth Century Fox